Leitsätze (amtlich)
- Die Begriffsbestimmung der Anschaffungskosten durch den Großen Senat in seinem Beschluss vom 22.8.1966, GrS 2/66 (BStBl III1966, S. 672), wonach Anschaffungskosten nur die Kosten sind, die aufgewendet werden, um ein Wirtschaftsgut von einem anderen zu erwerben, ist durch § 255 Abs. 1 HGB überholt. Zu den Anschaffungskosten eines Vermögensgegenstandes (Wirtschaftsgut, hier: Wohngebäude) zählen auch die Aufwendungen, die erforderlich sind, um den Vermögensgegenstand bestimmungsgemäß nutzen zu können.
- Der Erwerber bestimmt den Zweck des Vermögensgegenstandes. Wird ein Wohngebäude ab dem Zeitpunkt des Erwerbs vom Erwerber durch Vermietung der Wohnungen genutzt, ist es insoweit betriebsbereit gemäß § 255 Abs. 1 Satz 1 HGB.
- Soll das Gebäude zu Wohnzwecken genutzt werden, dann gehört zur Zweckbestimmung auch die Entscheidung, welchem Standard das Gebäude entsprechen soll (einem sehr einfachen, mittleren oder sehr anspruchsvollen). Baumaßnahmen, die das Gebäude auf einen höheren Standard bringen, machen es betriebsbereit, ihre Kosten sind Anschaffungskosten i.S. des § 255 Abs. 1 HGB.
- Schönheitsreparaturen im Anschluss an den Erwerb und sonstige Instandsetzungsarbeiten an vorhandenen Gegenständen und Einrichtungen, insbesondere an im Wesentlichen funktionierenden Installationen, führen grundsätzlich nicht zu Anschaffungskosten.
Sachverhalt
Die Kläger erwarben im Oktober 1994 ein leer stehendes Gebäudes mit drei Wohnungen für 527 866 DM (Gebäudeanteil). Anschließend renovierten sie es und versetzten die Wohnungen in einen den heutigen Anforderungen entsprechenden Zustand. Dafür wandten sie in den Jahren 1994 bis 1996 insgesamt rd. 96 000 DM auf. Es wurden laufende Reparaturen und Tapezierarbeiten durchgeführt, Fliesen erneuert, Elektromaterial ausgetauscht sowie Rollläden instand gesetzt. Ab 1995 erklärten die Kläger Einkünfte aus Vermietung des Gebäudes. In ihrer ESt-Erklärung für die Streitjahre 1995 und 1996 machten die Kläger die Renovierungsaufwendungen als Werbungskosten geltend. Das Finanzamt behandelte die Aufwendungen als (anschaffungsnahe) Herstellungskosten. Das FG wies die dagegen gerichtete Klage ab. Die Revision führte zur Klagestattgabe.
Entscheidungsgründe
- Die streitigen Aufwendungen sind keine Anschaffungskosten i.S. des § 255 Abs. 1 HGB. Anschaffungskosten sind danach die Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben und ihn in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen, soweit sie dem Vermögensgegenstand einzeln zugeordnet werden können, ferner die Nebenkosten und nachträglichen Anschaffungskosten. Die hier streitigen Aufwendungen sind weder zum Erwerb des Gebäudes geleistet worden, sie sind ferner weder Nebenkosten noch nachträgliche Anschaffungskosten. Sie sind auch nicht aufgewendet worden, um das Gebäude in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen.
Wird ein Wohngebäude ab dem Zeitpunkt des Erwerbs vom Erwerber genutzt, kann es von ihm zum Zwecke dieser Nutzung nicht mehr in einen betriebsbereiten Zustand versetzt werden. Erwirbt er z.B. ein vermietetes Gebäude und tritt in das Mietverhältnis ein, dann ist es insoweit betriebsbereit i.S. des § 255 Abs. 1 Satz 1 HGB. Im Streitfall standen die Wohnungen des erworbenen Gebäudes beim Übergang des Besitzes leer; damit war zunächst offen, ob es aus der Sicht des Erwerbers betriebsbereit war. Der Erwerber bestimmt nämlich den Zweck des Wirtschaftsguts, d.h. in welcher Weise es genutzt werden soll. Zweck bedeutet nicht nur, dass das Wirtschaftsgut zur Erzielung von Einkünften im Rahmen einer bestimmten Einkunftsart genutzt werden soll, mithin betriebsbereit wäre, wenn es dafür überhaupt einsetzbar ist. Zweck bedeutet vielmehr die konkrete Art und Weise, in der der Erwerber das Wirtschaftsgut zur Erzielung von Einnahmen im Rahmen einer Einkunftsart nutzen will. Er bestimmt daher auch, ob das Gebäude z.B. zu Wohnzwecken oder als Büroraum genutzt werden soll. Soll das Gebäude zu Wohnzwecken genutzt werden, dann gehört zur Zweckbestimmung auch die Entscheidung, welchem Standard das Gebäude entsprechen soll (sehr einfach, mittel oder sehr anspruchsvoll). Baumaßnahmen, die das Gebäude auf einen höheren Standard bringen, machen es betriebsbereit, ihre Kosten führen zu Anschaffungskosten i.S. des § 255 Abs. 1 HGB.
Für den Standard eines Wohngebäudes ist neben der Größe, dem Zuschnitt und der Anzahl der Räume vor allem die Ausstattung und Qualität der Einrichtungen ausschlaggebend, die den Gebrauchswert (Nutzungspotenzial) einer Wohnung bestimmen. Dazu zählen vor allem Heizungs-, Sanitär- und Elektroinstallation sowie Fenster. Sind sie nur im nötigen Umfang und in sehr sparsamer Ausführung vorhanden, dann wird es sich um einen sehr einfachen Wohnstandard, entsprechen sie in Umfang und Ausführung durchschnittlichen und selbst höheren Ansprüchen, dann wird es sich um einen mittleren Standard handeln. Ist nicht nur das Zweckmäßige, sondern das Mögliche vorhanden, und das vor allem unter Verwendung außergew...