Prof. Dr. Edeltraud Günther, Dipl.-Finanzwirt Karl-Heinz Günther
Leitsatz
Grundlagenbescheide ressortfremder Behörden, die nicht unter den Anwendungsbereich der AO fallen, bewirken nur dann eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO, wenn sie vor Ablauf der Festsetzungsfrist für die betroffene Steuer erlassen worden sind.
Sachverhalt
Die Steuerpflichtige betrieb eine Ballettschule und unterlag der umsatzsteuerlichen Regelbesteuerung. Auf Antrag erteilte das Ministerium für Wissenschaft und Kultur eine Bescheinigung nach § 4 Nr. 20 Buchst. b UStG mit rückwirkender Wirkung, wonach die Theater- und Schulaufführungen der Ballettschule die gleichen kulturellen Aufgaben wie die in § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG bezeichneten "öffentlichen Einrichtungen" erfüllen. Die Steuerpflichtige beantragte daraufhin die rückwirkende Änderung der Umsatzsteuerbescheide. Das Finanzamt lehnte die Anträge der Steuerpflichtigen, die bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheide entsprechend den Bescheinigungen zu ändern und die Umsätze steuerfrei zu belassen, ab.
Im Klageverfahren bekam die Steuerpflichtige Recht, indem das FG entschied, dass es sich bei den Bescheinigungen um Grundlagenbescheide i.S.d. § 171 Abs. 10 AO handele, die gem. § 175 AO auch rückwirkend für einen Zeitraum vor dem Ausstellungsdatum erteilt werden könnten.
Der BFH hob jedoch die Entscheidung der Vorinstanz auf und wies die Klage ab, da die Bescheinigungen erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer der Streitjahre erteilt worden waren. Grundlagenbescheide ressortfremder Behörden, die nicht dem Anwendungsbereich der §§ 179 ff. AO unterliegen, bewirken eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO nur dann, wenn sie vor Ablauf der Festsetzungsfrist für die betreffende Steuer erlassen worden sind. Bei Grundlagenbescheiden ressortfremder Behörden ist § 171 Abs. 10 AO lückenhaft und deshalb aufgrund einer teleologischen Reduktion einschränkend dahingehend auszulegen, dass die von dieser Vorschrift angeordnete Ablaufhemmung voraussetzt, dass der Grundlagenbescheid noch vor dem Ablauf der Festsetzungsfrist für die Steuer, für die der Grundlagenbescheid bindend ist, bekanntgegeben wird. Nach ihrem Grundgedanken und System dienen die §§ 169 ff. AO dazu, Rechtssicherheit und Rechtsfrieden dadurch herzustellen, dass Steueransprüche nur innerhalb bestimmter Fristen geltend gemacht werden können.
Hinweis
Der BFH folgt damit den u.a. im Schrifttum geäußerten Bedenken gegen eine zeitlich unbegrenzte Ablaufhemmung bei ressortfremden Grundlagenbescheiden. Dagegen vertritt die Finanzverwaltung im Anwendungserlass zu § 175 AO unter 1.1 die Auffassung, dass außersteuerliche Grundlagenbescheide auch dann bindend sind, wenn sie aufgrund der für sie maßgebenden Verfahrensvorschriften nach Ablauf der für steuerliche Grundlagenbescheide geltenden Festsetzungsfrist ergehen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil v. 21.2.2013, V R 27/11.