Leitsatz
1. Die durch das BVerfG (Beschluss v. 13.2.2008, 2 BvL 1/06, BVerfGE S. 120, 125, unter E.II.2.) mit Wirkung bis zum 31.12.2009 ausgesprochene Anordnung der Weitergeltung der für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärten Regelungen über die Abziehbarkeit von Beiträgen zur Krankenversicherung ist weder verfassungswidrig noch liegt darin ein Verstoß gegen die EMRK.
2. Es besteht kein verfassungsrechtlicher Anspruch darauf, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung einkommensteuerlich in voller Höhe oder zumindest im Wege eines negativen Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen.
Sachverhalt
K erzielte von 1993 – 1999 Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Beiträge zur Kranken- und Arbeitslosenversicherung wurden im Rahmen der Höchstbeträge abgesetzt. K fordert, die Beiträge in voller Höhe als Sonderausgaben abzuziehen, hilfsweise, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung per negativen Progressionsvorbehalt zu berücksichtigen.
Die Klage hatte keinen Erfolg. K ist der Auffassung, die Weitergeltungsanordnung hinsichtlich der Beiträge zur Krankenversicherung verletze Verfassungsrecht sowie die EMRK. Der BFH hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen.
Entscheidung
Die frühere Abzugsbeschränkung für Krankenversicherungsbeiträge war verfassungswidrig, soweit Beiträge zu einer privaten Krankenversicherung, die dem Umfang nach erforderlich sind, um eine sozialhilfegleiche Krankenversorgung zu gewährleisten, nicht ausreichend erfasst wurden. Der Gesetzgeber musste infolgedessen mit Wirkung zum 1.1.2010 eine Neuregelung schaffen. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte die Altregelung jedoch weiter angewendet werden.
Es besteht keine verfassungsrechtliche Pflicht, Beiträge zu Arbeitslosenversicherungen als Sonderausgaben in vollem Umfang zum Abzug zuzulassen. Das Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums schützt nur den Lebensstandard auf Sozialhilfeniveau, nicht aber auf dem Niveau, das durch die Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung erreicht werden kann. Eine Verpflichtung der Sozialhilfeträger zur Übernahme derartiger Beiträge besteht nicht. Das Risiko der Arbeitslosigkeit wird bereits durch die Sozialhilfe-Regelsätze berücksichtigt.
Beiträge zur Arbeitslosenversicherung sind auch nicht per negativen Progressionsvorbehalt zu berücksichtigen. Nur Aufwendungen im Bereich der Einkünfteerzielung lösen einen negativen Progressionsvorbehalt aus. Beiträge zur Arbeitslosenversicherung sind aber Sonderausgaben und nur im Rahmen von Höchstbeträgen abzugsfähig.
Diese verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Zuordnungsentscheidung liefe ins Leere, wenn ein Wahlrecht auf Anwendung des negativen Progressionsvorbehalts bestünde. Aus der Systematik des § 32b EStG folgt zudem, dass ein negativer Progressionsvorbehalt nur dann in Betracht kommt, wenn ein Abzug der Aufwendungen zum Regeltarif bereits dem Grunde nach nicht möglich ist.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil v. 16.11.2011, X R 15/09.