Leitsatz
Der Steuerpflichtige kann Unterhaltsaufwendungen unter den weiteren Voraussetzungen des § 33a EStG als außergewöhnliche Belastung abziehen, wenn der Unterhaltsempfänger dem Grunde nach gesetzlich unterhaltsberechtigt ist. Auf das Bestehen einer konkreten zivilrechtlichen Unterhaltsberechtigung bzw. die Höhe des zivilrechtlichen Unterhaltsanspruchs kommt es nicht an.
Sachverhalt
Der Steuerpflichtige hatte 1992 seinem volljährigen, verheirateten Sohn S den hälftigen Miteigentumsanteil an einem Mehrfamilienhaus übertragen, in dem S mit seiner Familie wohnte. S hatte keine Miete zu zahlen, jedoch die auf seine Wohnung entfallenden Kosten voll selbst zu tragen. Die Eheleute S erzielten nur geringe Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, jedoch hohe Verluste aus Vermietung und Gewerbebetrieb. Das Betriebsvermögen des S war überschuldet. Der Steuerpflichtige trug daher in den Streitjahren 1996 bzw. 1998 die für die Wohnung des S angefallenen Kosten von 7400 DM bzw. 13000 DM und machte sie unter Hinweis auf seine gesetzliche Unterhaltspflicht als außergewöhnliche Belastung geltend. Das Finanzamt lehnte dies ab, da S aufgrund seiner Ausbildung in der Lage sei, seinen Lebensunterhalt durch eine entsprechende Tätigkeit abzusichern.
Entscheidung
Der BFH widersprach dem Finanzamt und wies die Revision gegen das stattgebende FG-Urteil zurück. Für den Abzug von Aufwendungen an gesetzlich unterhaltsberechtigte Personen ist nicht das Bestehen einer konkreten zivilrechtlichen Unterhaltspflicht oder die Höhe des zivilrechtlich geschuldeten Unterhalts entscheidend. Eine potenzielle Unterhaltsverpflichtung genügt. Der BFH teilt damit nicht die überwiegende Literaturmeinung, die darauf abstellt, ob der Unterhalt leistende Verwandte konkret zum Unterhalt verpflichtet ist. Eine konkrete Unterhaltsverpflichtung besteht vor allem dann nicht, wenn der Unterstützte seiner Verpflichtung, seine Arbeitskraft einzusetzen, nicht in zumutbarer Weise nachkommt. Das dürfte hier der Fall gewesen sein, da S über eine Ausbildung und berufliche Erfahrungen verfügte.
Nach der nun vom BFH vertretenen großzügigeren Auffassung, die schon bisher von der Verwaltung geteilt wurde, ist die Bedürftigkeit der unterstützten Person im Rahmen einer typisierenden Betrachtungsweise stets dem Grunde nach zu unterstellen. Denn mit der Änderung des § 33a Abs. 1 EStG durch das JStG 1996 wurde das Tatbestandsmerkmal der Zwangsläufigkeit durch den Begriff der gesetzlichen Unterhaltsberechtigung ersetzt. Damit ist die Bedürftigkeit der unterstützten Person nicht mehr eigenständig zu prüfen. Eine konkrete Prüfung ist nur noch bei der Unterstützung nicht unbeschränkt steuerpflichtiger Personen erforderlich. Denn bei diesem Personenkreis müssen die Aufwendungen nach § 33a Abs. 1 Satz 5 EStG"notwendig und angemessen" sein. Im Übrigen wird die Abziehbarkeit der Unterhaltsaufwendungen für eine gesetzlich unterhaltsberechtigte Person innerhalb der Höchstbeträge des § 33a Abs. 1 EStG nur begrenzt durch die Berücksichtigung des eigenen Vermögens, die Anrechnung der eigenen Einkünfte und Bezüge sowie durch die sog. Opfergrenze. Der BFH beruft sich für diese Lösung ergänzend auf die Verwaltungsvereinfachung und die gleichmäßige Gesetzesanwendung. So erübrigt sich vor allem die im Einzelfall zivilrechtlich nur schwer zu entscheidende Frage, ob ein volljähriges Kind seinen Lebensunterhalt durch Arbeit selbst verdienen könnte.
Praxishinweis
Über die Unterstützung nicht unbeschränkt steuerpflichtiger Personen hinaus erkennt der BFH weitere Ausnahmefälle an, in denen als Voraussetzung für den steuermindernden Abzug nicht auf eine konkrete gesetzliche Unterhaltspflicht verzichtet werden kann. Die Anrechnung von Ausbildungshilfen nach § 33a Abs. 1 Satz 4 EStG ist z.B. nur möglich, wenn die Ausbildungshilfe Leistungen abdeckt, zu denen die Eltern konkret gesetzlich verpflichtet sind. Ebenso ist bei einer Konkurrenz zwischen verschiedenen Unterhaltsansprüchen, z.B. wenn die Eltern ihre unverheiratete Tochter nach der Geburt eines Kindes unterstützen, konkret zu prüfen, ob die gesetzliche Unterhaltsverpflichtung der Eltern gegenüber der Verpflichtung des Kindsvaters zurücktritt und damit der Anspruch auf Kindergeld bzw. -freibetrag nach § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG entfällt. Für die Masse der Fälle – Unterhaltszahlungen an Angehörige im Ausland – dürfte es jedenfalls bei der konkreten Prüfung der Bedürftigkeit bleiben.
Link zur Entscheidung
BFH-Urteil vom 18.5.2006, III R 26/05