Leitsatz (amtlich)

Wird ein bestandskräftiger Steuerbescheid, für den die Festsetzungsfrist abgelaufen ist, nach § 174 Abs. 4 AO 1977 innerhalb der Jahresfrist dergestalt geändert, dass nunmehr kein nicht ausgeglichener Verlust mehr besteht, so ist innerhalb der Jahresfrist des § 174 Abs. 4 Satz 3 AO 1977 der Steuerbescheid des Verlustrücktragsjahres gemäß § 10d Satz 2 EStG a.F. zu ändern.

 

Sachverhalt

Der Kläger erzielte in den Streitjahren 1987 und 1989 u.a. Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Nach einer 1991 durchgeführten Außenprüfung meinte das Finanzamt, dass eine vom Kläger 1987 abgeschriebene Forderung erst in 1989 abgeschrieben werden könne. Dementsprechend erließ es am 22.7.1992 einen geänderten ESt-Bescheid für 1987, in dem es den Gewinn um die vom Kläger vorgenommene Abschreibung erhöhte, und am 15.9.1992 einen ESt-Bescheid für 1989, in dem es einen um die Abschreibung erhöhten Verlust aus Gewerbebetrieb von 255 927 DM ermittelte. Den im Streitjahr 1989 nicht ausgeglichenen Verlust von 75 511 DM hatte es bereits im geänderten ESt-Bescheid 1987 vom 22.7.1992 berücksichtigt. Der Kläger legte gegen den ESt-Än-derungsbescheid 1987 Einspruch mit der Begründung ein, die streitige Forderung sei bereits 1987 abzuschreiben. Dem folgte das Finanzamt mit Bescheid vom 20.5.1997 und gab dem Einspruch unter zusätzlicher Berücksichtigung eines Verlustrücktrags aus 1989 von 74964 DM statt. Am 22.7.1997 erließ es einen geänderten ESt-Bescheid für 1989. Da sich nun für 1989 ein positiver Gesamtbetrag der Einkünfte ergab, änderte es am 22.9.1997 den ESt-Änderungsbescheid 1987 vom 20.5.1997 und strich den bisher aus 1989 zurückgetragenen Verlust. Die Klage gegen die ESt-Änderungsbescheide 1989 vom 22.7.1997 und 1987 vom 22.9.1997 blieb erfolglos[1]. Der BFH bestätigte die Vorentscheidung.

 

Entscheidungsgründe

  1. Rechtsgrundlage für den Erlass des angefochtenen ESt-Änderungsbescheids 1989 vom 22.7.1997 ist § 174 Abs. 4 AO. Da das Finanzamt auf Einspruch des Klägers die Forderungsabschreibung bei der Gewinnermittlung 1987 anerkannt und dementsprechend dem Einspruch durch Bescheid vom 20.5.1997 stattgegeben hat, konnte es der nun nicht mehr berechtigten Forderungsabschreibung in 1989 durch Erlass des Änderungsbescheids vom 22.7.1997 Rechnung tragen. Es hat ferner die steuerlichen Folgerungen aus der Stattgabe des Einspruchs betreffend 1987 innerhalb der Jahresfrist gezogen.
  2. Der Meinung des Klägers, § 174 Abs. 4 AO sei nur anzuwenden, wenn durch die vorausgegangene Änderung des ESt-Bescheids 1987 der Sachverhalt "ohne steuerliche Regelung wäre", ist nicht zu folgen. Sie findet weder im Wortlaut noch in Sinn und Zweck der Norm eine Stütze. Zweck der Vorschrift ist es, nach antragsgemäßer Änderung eines Steuerbescheides (hier: ESt 1987) gegebenenfalls unter Durchbrechung der Bestandskraft die in einem anderen Steuerbescheid gezogenen steuerlichen Folgerungen rückgängig zu machen, die sich nachträglich als unzutreffend erwiesen haben[2]. Unerheblich ist, ob der Steuerpflichtige oder das Finanzamt den Irrtum veranlasst hat.
  3. Das Finanzamt musste auch, nachdem durch den Wegfall der Forderungsabschreibung in 1989 kein rücktragsfähiger Verlust für 1987 mehr vorhanden war, den bislang bei der ESt-Veranlagung 1987 gewährten Verlustrücktrag rückgängig machen. Rechtsgrundlage hierfür ist § 10d Satz 2 EStG a.F. Die Änderung der ESt-Festsetzung für 1987 war nicht wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 1 Satz 1 AO unzulässig; denn die Verjährungsfrist für 1987 endete nach § 10d Satz 3 EStG a.F. nicht, bevor die Verjährungsfrist des Veranlagungszeitraums abgelaufen war, in dem Verluste nicht ausgeglichen wurden. Die Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsfrist für die ESt 1987 ergibt sich aus dem Wortlaut des § 10d Satz 3 EStG a.F. und dessen Sinn und Zweck. Danach knüpft § 10d Satz 3 EStG a.F. an die Verjährungsfrist des Veranlagungszeitraums, in dem "Verluste nicht ausgeglichen werden", an[3]. Dies ist im Streitfall das Jahr 1989. Die bisher 1989 angesetzten Verluste werden insoweit nicht ausgeglichen, als sie - wie sich im Nachhinein herausgestellt hat -tatsächlich nicht entstanden sind. Wie aus § 10d Satz 2 EStG a.F. folgt, erfasst die Regelung die Gewährung, aber auch die Berichtigung des Verlustabzugs. § 10d Sätze 2 und 3 EStG a.F. bezwecken die vollständige und richtige Verwirklichung des Verlustabzugs. Sie stellen die Rechtmäßigkeit des Bescheids vor das Vertrauen in dessen Bestand. Steuerbescheide für vorangegangene Veranlagungszeiträume sind danach zu berichtigen, wenn ein Verlustrücktrag gewährt wurde, materiellrechtlich aber keine "nicht ausgeglichenen Verluste" verblieben sind[4]. Im Streitfall war die Verjährungsfrist - was aus § 174 Abs. 4 Satz 3 AO folgt - für den Steueranspruch 1989 noch nicht abgelaufen.
 

Link zur Entscheidung

BFH vom 4.4.2001 – XI R 59/00

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