Das steht im Urteil

Ein bestandskräftiger Bescheid, mit dem die Familienkasse die Festsetzung von Kindergeld im laufenden Kalenderjahr wegen der den Jahresgrenzbetrag (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) voraussichtlich übersteigenden Einkünfte und Bezüge des Kindes aufgehoben hat (Prognoseentscheidung), ist nicht nach § 70 Abs. 4 EStG zu ändern, wenn der Jahresgrenzbetrag allein deshalb unterschritten wird, weil nach der späteren Entscheidung des Bundesverfassungsgericht die Arbeitnehmerbeiträge des Kindes zur gesetzlichen Sozialversicherung abweichend von der bisher vorherrschenden Rechtsauffassung nicht in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag einzubeziehen sind.

 

Der Hintergrund

A hat eine im Jahr 1983 geborene Tochter, für die er Kindergeld bezog. Nachdem die Tochter im Dezember 2000 eine Ausbildung zur Augenoptikerin begonnen hatte, prüfte die Familienkasse, ob das Kindergeld noch weiter zu gewähren ist. Die voraussichtlichen Einkünfte der Tochter sollten nach den Angaben des A im Jahr 2002 insgesamt 7.679 EUR betragen (Einnahmen in Höhe von 8.723 EUR abzüglich des Arbeitnehmer-Pauschbetrags in Höhe von 1.044 EUR). Da die Einkünfte der Tochter hiernach den für 2002 maßgeblichen Jahresgrenzbetrag von 7.188 EUR (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) überschritten, hob die Familienkasse mit Bescheid v. 3.9.2002 die Festsetzung des Kindergelds ab Januar 2002 auf. Der Bescheid wurde nicht angefochten. – Im Juli 2005 beantragte A erneut, ihm Kindergeld für das Jahr 2002 sowie für Januar 2003 zu gewähren. Er berief sich hierzu auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, nach dem die der Kindergeldfestsetzung zugrunde zu legenden Einkünfte der Kinder durch die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge zu mindern sind. Demgemäß seien von dem Jahresbruttoeinkommen seiner Tochter von 9.537 EUR die von ihr gezahlten Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 1.993 EUR und die Werbungskostenpauschale von 920 EUR abzuziehen; der hiernach sich ergebende Betrag von 6.624 EUR überschreite den maßgeblichen Jahresgrenzbetrag nicht. – Die Familienkasse setzte darauf lediglich ein Kindergeld von Oktober 2002 bis Januar 2003 fest. Der Beschluss des BVerfG könne nur auf noch offene Fälle angewendet werden. Da die Kindergeldfestsetzung im Streitfall mit bestandskräftigem Bescheid v. 3.9.2002 ab Januar 2002 aufgehoben worden sei, könne das Kindergeld frühestens ab dem Folgemonat der Bekanntgabe des Aufhebungsbescheids – also ab Oktober 2002 – festgesetzt werden.

 

Die Meinung des BFH

Der BFH hat die Auffassung der Familienkasse bestätigt. Er geht davon aus, dass die Bestandskraft des Aufhebungsbescheids v. 3.9.2002 durch den Beschluss des BVerfG nicht berührt wird. Ein Bescheid, der auf einer von einer Entscheidung des BVerfG abweichenden Auslegung einer Rechtsnorm beruht, sei zwar rechtswidrig, aber nicht nichtig. Der bestandskräftige Bescheid v. 3.9.2002 könne auch nicht nach § 70 Abs. 4 EStG aufgehoben oder geändert werden. Nach dieser Vorschrift ist eine Kindergeldfestsetzung lediglich dann aufzuheben oder zu ändern, wenn nachtraglich bekannt wird, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Jahresgrenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG über- oder unterschreiten. Eine Aufhebung oder Änderung des Kindergeldbescheids sei nach § 70 Abs. 4 EStG nur gerechtfertigt, wenn nachträglich bekannt wird, dass sich die Einkünfte und Bezüge entgegen der Prognose im laufenden Kalenderjahr erhöht oder vermindert haben, nicht aber, wenn sich ein von der Prognose abweichender Betrag ergibt, weil sich nach Erlass des Kindergeldbescheids – wie hier aufgrund einer Entscheidung des BVerfG – die Rechtsauffassung zur Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStGgeändert hat.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil v. 28.11.2006, III R 6/06

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