Leitsatz
- Setzt das Finanzamt die Investitionszulage im Hinblick auf den noch nicht feststehenden Abschlusszeitpunkt der Investition vorläufig fest, hat es bei der endgültigen Festsetzung zwischenzeitliche, die vorläufige Festsetzung betreffende Gesetzesänderungen (Verkürzung des Investitionszeitraums) zu berücksichtigen.
- Wird der gesetzliche Investitionszeitraum verlängert, nachdem der Investor die Investitionsentscheidung getroffen und den Antrag auf Investitionszulage gestellt hat, die Verlängerung aber vor der endgültigen Festsetzung der Investitionszulage aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen wieder rückgängig gemacht, verletzt diese rückwirkende Gesetzesänderung jedenfalls dann kein von Verfassungs wegen geschütztes Vertrauen des Investors, wenn er im Hinblick auf die ursprüngliche Verlängerung des Investitionszeitraums seine Disposition nicht geändert hat.
Sachverhalt
Der Investor beantragte im September 1994 die 8%-ige Investitionszulage für ein Wasserwerk, das bis zum 1.1.1997 fertiggestellt sein sollte. Zur Zeit der Antragstellung galt für Investitionen, die nach dem 21.12.1992 und vor dem 1.7.1994 begonnen wurden, eine Investitionsfrist bis 31.12.1996. Durch das JStG 1996 vom 11.10.1995 wurde der Investitionszeitraum nachträglich um zwei Jahre bis Ende 1998 verlängert. Die Änderung trat am 21.10.1995 in Kraft. Nachdem die EU-Kommission die Verlängerung am 1.10.1997 als rechtswidrige Beihilfe beurteilt hatte, wurde der Abschlusszeitpunkt durch das Finanzmarktförderungsgesetz vom 24.3.1998 wieder auf den 31.12.1996 vorverlegt. Schon im Januar 1996 hatte das BMF darauf hingewiesen, dass die Verlängerung der Investitionsfrist unabhängig vom deutschen Recht erst nach Genehmigung durch die EU-Kommission gelte. Das Wasserwerk wurde erst nach 1996 fertiggestellt.
Das Finanzamt setzte die Investitionszulage im Februar 1996 vorläufig fest und wies darauf hin, die Höhe des Zulagensatzes könne erst nach Investitionsabschluss geprüft werden. Im Mai 1998 forderte es die Investitionszulage mit der Begründung zurück, die bis Ende 1996 laufende Investitionsfrist sei nicht eingehalten worden.
Entscheidung
Der BFH bestätigte das Finanzamt. Da die Investitionszulage vorläufig festgesetzt worden war, war das Finanzamt zur Änderung befugt. Bei der endgültigen Festsetzung hatte es die zwischenzeitlichen Gesetzesänderungen zu berücksichtigen. Ändert sich rückwirkend die gesetzliche Grundlage für einen als ungewiss gekennzeichneten Besteuerungs- bzw. Zulagentatbestand, ist die geänderte Vorschrift zugrunde zu legen. Denn der Bescheid ist wegen des Vorläufigkeitsvermerks insoweit nicht materiell bestandskräftig geworden.
Das aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete grundsätzliche Verbot rückwirkender Gesetze steht jedenfalls dann nicht entgegen, wenn Zulagen rückwirkend deshalb gesenkt werden, weil die EU-Kommission die Unvereinbarkeit mit dem gemeinsamen Markt festgestellt hat. Ein verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen auf die Zulagen- bzw. Beihilfengewährung kann schon dann nicht mehr entstehen, wenn das BMF die Einleitung eines Hauptprüfverfahrens durch die EU-Kommission mitgeteilt und angeordnet hat, die Beihilfen abweichend vom Gesetz nicht oder nur teilweise zu gewähren. Bei Investitionen vor Veröffentlichung eines entsprechenden BMF-Schreibens ist das mitgliedschaftliche öffentliche Interesse gegen Vertrauensschutzgesichtspunkte des Investors abzuwägen. Ein gewisses Vertrauen hätte bei dem Investor im Streitfall allenfalls entstehen können, wenn er seine Planungen im Hinblick auf die Verlängerung des Investitionszeitraums geändert und an den späteren Fertigstellungszeitpunkt Ende 1998 angepasst hätte. Dazu wurde im Streitfall jedoch nichts vorgetragen. Der BFH hebt hervor, dass das Vertrauen des Investors wegen des nur kurzen Zeitraums, in dem die für ihn günstigere Rechtslage bestanden hat, gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Wiederherstellung des gemeinschaftsrechtlichen Zustands hätte zurücktreten müssen.
Praxishinweis
Die Entscheidung führt die Grundsätze des BFH-Urteils vom 12.10.2000 fort. Bei einem nur kurzen Zeitraum, in dem sich geschütztes Vertrauen hätte bilden können, muss dieses grundsätzlich gegenüber den gemeinschaftsrechtlichen Interessen an der Durchsetzung der Wettbewerbsordnung zurückstehen. Da der gemeinschaftsrechtliche Genehmigungsvorbehalt in spätere Gesetze ausdrücklich aufgenommen wurde, kann sich ein Investor daher künftig hinsichtlich einer unter Vorbehalt stehenden Regelung grundsätzlich nicht auf geschütztes Vertrauen berufen.
Link zur Entscheidung
BFH-Urteil vom 21.4.2005, III R 10/03