Leitsatz
- Der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer trägt die Feststellungslast dafür, dass der in der Rechnung einer GmbH angegebene Sitz tatsächlich bestanden hat.
- Es besteht eine Obliegenheit des Leistungsempfängers, sich über die Richtigkeit der Angaben in der Rechnung zu vergewissern.
- Die Anforderungen an eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung sind für alle Unternehmer, unabhängig von der Rechtsform, dieselben.
Sachverhalt
Ein Kfz-Händler in Deutschland erwarb 1996 unter anderem Fahrzeuge, die aus Italien reimportiert worden waren. Das Finanzamt versagte den Vorsteuerabzug aus Rechnungen der Firma W in N (Deutschland) sowie einer Rechnung vom November 1996, die nicht an den Händler, sondern an eine Firma M in M (Deutschland) gerichtet gewesen sei.
Die Klage blieb ohne Erfolg. Auch das FG ging davon aus, dass die Adresse in N lediglich eine Scheinadresse sei, da der Rechnungsaussteller dort keine eigenen wirtschaftlichen Aktivitäten entfaltet hatte. KW (der Inhaber von W) war vielmehr in Italien ansässig und hatte auch das bei einer Bank in Deutschland eingerichtete Geschäftskonto nicht genutzt. Unter der Anschrift in N war nur ein Büroservice der Firma D ansässig.
Entscheidung
Der BFH bestätigte das FG. Der Händler hatte kein Recht auf Vorsteuerabzug, weil die Adresse in den Rechnungen nicht die Adresse des leistenden Unternehmers gewesen ist (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 i. V. mit § 14 UStG).
Nach der bisherigen BFH-Rechtsprechung musste der in der Rechnung angegebene Sitz einer GmbH bei Ausführung der Leistung und bei Rechnungsstellung tatsächlich bestanden haben, um den Rechnungsempfänger zum Vorsteuerabzug zu berechtigen. Der Finanzverwaltung muss eine eindeutige und leicht nachprüfbare Feststellung des leistenden Unternehmers ermöglicht werden.
Als "Sitz einer wirtschaftlichen Tätigkeit" lässt sich auch nach der EuGH-Rechtsprechung eine fiktive Ansiedlung in der Form, wie sie für eine "Briefkastenfirma" oder für eine "Strohfirma" charakteristisch ist, nicht ansehen (vgl. EuGH, Urteil v. 28.6.2007, C-73/06, Planzer Luxembourg Sarl, BFH/NV Beilage 2007 S. 418).
Der BFH hielt es jetzt aus Gründen der Rechtsformneutralität der Umsatzsteuer für geboten, diese Anforderungen an alle Unternehmer gleichermaßen zu stellen. Ein "Briefkasten-Sitz" mit postalischer Erreichbarkeit des Unternehmers kommt jedenfalls nicht als hinreichende Adresse des leistenden Unternehmers in Betracht, wenn besondere, detaillierte Feststellungen die Annahme eines "Scheinsitzes" rechtfertigen.
So war es im Streitfall. Das FG hat festgestellt, dass die Verwendung der Anschrift in N nur dazu gedient habe, gegenüber den Abnehmern der Fahrzeuge zu verschleiern, dass es sich bei dem leistenden Unternehmer um einen ausländischen Unternehmer gehandelt habe, der bei dem Verbringen der Fahrzeuge nach Deutschland eine Besteuerung durch die Abnehmer als innergemeinschaftlichen Erwerb habe vermeiden wollen. Die Tätigkeit des Büroservice der Firma D habe sich darauf beschränkt, eingehende Telefonanrufe und Postsendungen weiterzuleiten, ohne dass eine sonstige unternehmerische Tätigkeit in Form von Geschäftsleitung, Behördenkontakten oder Zahlungsverkehr stattgefunden habe. Obwohl die angeblich von N aus betriebene Geschäftstätigkeit mit einem Umsatz von mehreren Millionen DM innerhalb von vier Monaten einen erheblichen Umfang gehabt habe, seien in N keinerlei Geschäftsunterlagen aufbewahrt worden und es sei über das Konto bei der Bank in Deutschland auch kein Zahlungsverkehr abgewickelt worden.
Die Gewährung des Vorsteuerabzugs aus Billigkeitsgründen verneinte der BFH, wobei er offen ließ, ob die Angaben in der Rechnung überhaupt einem Gutglaubensschutz zugänglich sind. Aufgrund der Obliegenheit des Leistungsempfängers, sich über die Richtigkeit der Angaben in der Rechnung zu vergewissern, hätte der Händler den ihm bekannten Anhaltspunkten, die Anlass zu einer erhöhten Sorgfalt bei der Prüfung der Richtigkeit der Rechnungsdaten gegeben haben, nachgehen müssen.
Hinweis
Da der BFH hier nicht über die Rechnung einer GmbH, sondern eines Einzelunternehmers entschied, macht der erste Leitsatz nur zusammen mit dem dritten Leitsatz Sinn. Letztlich ist aber das, was zu entscheiden war – nämlich ob der richtige Unternehmer abgerechnet hatte – ohnehin eine Frage, die grundsätzlich längst geklärt ist und nach den jeweils gegebenen Umständen beantwortet werden muss. Das FG hatte hier jedenfalls detaillierte Feststellungen zum Leistungsweg getroffen.
Soweit der BFH hier die Frage des Vorsteuerabzugs "aus Billigkeitsgründen" offen ließ, war das zutreffend; soweit er die entsprechende Möglichkeit vorsorglich in Frage stellte, sollte bedacht werden, dass der "Vertrauensschutz" für den betroffenen Unternehmer an Angaben seines Leistungspartners jedenfalls dann durchgreifen kann, wenn er deren Unrichtigkeit "auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns" nicht erkennen konnte (vgl. § 6a Abs. 4 UStG zur innergemeinschaftlichen Lieferung). Der EuG...