Leitsatz

Es geht um die Fragen, ob der Sonderausgaben-Höchstbetrag geringer sein darf als die Höhe der gesetzlichen Krankenversicherung und dass der Höchstbetrag keine Kinderberücksichtigung enthält.

 

Sachverhalt

Im Urteilsfall hatte ein Ehepaar mit 6 Kindern und selbständigen Einkünften im Jahr 1997 Versicherungsbeiträge von insgesamt 66000 DM geleistet, wovon als Sonderausgaben 19830 DM anerkannt wurden. Hiergegen wenden sich die Eheleute mit der Begründung, Steuerpflichtige mit selbständigen Einkünften müssten vergleichsweise höhere Beträge für die Zukunftssicherung aufbringen als Arbeitnehmer und zudem ihre Kinder zusätzlich privat versichern.

Der BFH sieht die Anwendung des § 10 Abs. 1 Nr. 2a EStG in Verbindung mit Abs. 3 EStG als zutreffend an, hält diese Vorschriften aber für verfassungswidrig. Die geltende Rechtslage verstößt nach seiner Auffassung, soweit der steuerliche Höchstbetrag nicht ausreicht für eine gesetzliche Krankenversicherung, gegen den Grundsatz der Besteuerung nach der subjektiven Leistungsfähigkeit, wegen der fehlenden Kinderberücksichtigung beim Sonderausgabenabzug gegen das Gebot des Schutzes von Ehe und Familie sowie im Hinblick auf die Benachteiligung gegenüber Ehepaaren ohne Kinder gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Im Kern geht der BFH von folgenden Überlegungen aus:

Das Einkommen muss insoweit steuerfrei belassen werden, als es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein für den Steuerpflichtigen und seiner Familie benötigt wird. Hierzu gehört neben dem Existenzminimum, auch der Sonderausgabenabzug, weil nicht alle Menschen den gleichen Versicherungsschutz erwerben und deshalb nur die tatsächlichen Versicherungsleistungen zu begünstigen sind. Die Beiträge für Versicherungen gegen existentielle Lebensrisiken wie Krankheit, Unfall, Haftpflicht stellen unvermeidbare Aufwendungen dar, die die steuerliche Bemessungsgrundlage mindern müssen. Hinsichtlich einer Kinderberücksichtigung ist zu bedenken, dass Eltern kraft ihrer gesetzlichen Unterhaltspflicht Vorsorgelasten für ihre Kinder obliegen.

Der Höhe nach muss der Gesetzgeber mindestens das, was er dem Bedürftigen zur Befriedigung seines existenznotwendigen Bedarfs aus öffentlichen Mitteln als Sozialhilfe zur Verfügung stellt, auch von der Einkommensteuer freistellen. Dies gilt für alle Familienmitglieder; der Staat darf auf die Mittel für den unerlässlichen Kindesunterhalt bei der Besteuerung nicht in gleicher Weise zugreifen wie auf Mittel, die der Bürger zur Befriedigung anderer Bedürfnisse einsetzen kann. Ob die Obergrenze für die Abziehbarkeit von Krankenversicherungsbeiträgen der Höhe der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen soll, ließ der BFH offen, weil sich nicht mit Bestimmtheit sagen lässt, dass die gesetzliche Krankenversicherung eindeutig günstiger ist als die private. Der BFH bezifferte zudem nicht die exakte Höhe des existentiell erforderlichen Aufwands für die Mindestvorsorge im Urteilssfall. Jedenfalls reicht der von dem Höchstbetrag rechnerisch entfallende Anteil für Krankenversicherungen nicht aus, für die 8-köpfige privatversicherte Familie einen Versicherungsschutz mit einem der gesetzlichen Krankenversicherung vergleichbaren Leistungsniveau zu erwerben.

Durch die fehlende Kinderkomponente beim Abzug von Krankenversicherungsbeiträgen werden Eltern mit Kindern benachteiligt. Diese Benachteiligung ist auch dann auszugleichen, wenn fast 90% der Bevölkerung gesetzlich krankenversichert und Kinder ohne versicherungspflichtige eigene Einkünfte beitragsfrei mitversichert sind. Hinsichtlich der für Kinder aufzuwendenden Beiträge ist deshalb eine Aufstockung des Sonderausgabenabzugs zwecks Mindestvorsorge geboten.

 

Hinweis

Die BFH-Vorlage wird beim BVerfG unter dem Az. 2 BvL 1/06 geführt. Einkommensteuerbescheide können wegen des beim BVerfG anhängigen Verfahrens für vorläufig erklärt werden, um die Steuerfestsetzung insoweit offen zu halten und mögliche Änderungen des Sonderausgabenabzugs nach Abschluss des Verfahrens nachvollziehen zu können. Enthält ein Steuerbescheid bereits eine Vorläufigkeitserklärung hinsichtlich der Frage, ob die beschränkte Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3 EStG) mit höherrangigem Recht vereinbar ist, ist nicht sicher, ob auch diese Problematik damit abgedeckt ist, vgl. dazu im Einzelnen Gruppe 4 S. 387f.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Beschluss v. 14.12.2005, X R 20/04.

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