Leitsatz

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob § 174 Abs. 3 AO die Rechtsgrundlage dafür bietet, bestandskräftige Steuerbescheide in der Weise zu ändern, dass ein Entnahmegewinn steuerlich berücksichtigt wird, den das Finanzamt seinerzeit wegen Nichtanwendung der BFH-Rechtsprechung zur Bedeutung von Einstimmigkeitsabreden bei der Betriebsaufspaltung nicht erfasst hat (Bedenken gegen die Richtigkeit der im BMF-Schreiben vom 7.10.2002, IV A 6 – S 2240 – 134/02, BStBl I 2002, S. 1028, unter V.1. vertretenen Auffassung).

 

Sachverhalt

Eine GbR, bei deren Gründung eine Einstimmigkeitsabrede getroffen wurde, vermietete ein betrieblich genutztes Grundstück an eine GmbH, an der ihre beiden Gesellschafter unmittelbar jeweils mit 22 % sowie mittelbar bis Oktober 1995 über eine KG, die 44 % der GmbH-Anteile hielt, beteiligt waren. Seit Bestehen der GbR waren die Beteiligten von einer Betriebsaufspaltung ausgegangen. Bei einer Betriebsprüfung stellte das Finanzamt fest, im Juli 1999 sei die sachliche Verflechtung infolge Beendigung des Mietvertrags entfallen. Nach dem BMF-Schreiben vom 7.10.2002[1] sei die Betriebsaufspaltung wegen Wegfalls der personellen Verflechtung jedoch bereits zum 1.10.1995 beendet worden, so dass ein Aufgabegewinn der GbR zu ermitteln sei. Die Feststellungsverjährung für das Jahr 1995 stehe dem nicht entgegen. Da das Finanzamt bei der Veranlagung für 1995 davon ausgegangen sei, dass der Aufgabegewinn wegen der Beendigung der Betriebsaufspaltung in einem späteren Jahr zu erfassen sei und sich diese Annahme als unrichtig erwiesen habe, könne die Feststellung des Jahres 1995 unter Berücksichtigung des Aufgabegewinns nach § 174 Abs. 3 AO geändert werden[2]. Gegen den entsprechenden Änderungsbescheid legte die GbR Einspruch ein, über den noch nicht entschieden ist. Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lehnte das Finanzamt ab, das FG gab ihm statt.

 

Entscheidung

Auch der BFH hat ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts. Nach dem BMF-Schreiben vom 7.10.2002[3] ist eine Beherrschungsidentität im Sinne der Rechtsprechung zur Betriebsaufspaltung – abweichend von der früheren Verwaltungsauffassung – nicht gegeben, wenn an einer Besitzgesellschaft neben der mehrheitlich bei der Betriebsgesellschaft beteiligten Person oder Personengruppe mindestens ein weiterer Gesellschafter beteiligt ist und Beschlüsse der Gesellschafterversammlung wegen vertraglicher oder gesetzlicher Bestimmungen einstimmig gefasst werden müssen. Soweit davon abweichend in der Vergangenheit eine Betriebsaufspaltung trotz fehlender personeller Verflechtung angenommen wurde, sollen die der "Betriebsgesellschaft" überlassenen Wirtschaftsgüter – sofern sie nicht aus anderen Gründen dem Betriebsvermögen zuzurechnen sind – in dem Zeitpunkt als entnommen angesehen werden, ab dem die Betriebsaufspaltung angenommen worden ist. Bestandskräftige Bescheide sollen dabei nach § 174 Abs. 3 AO zu ändern sein. Die Subsumtion unter diesen Änderungstatbestand hält der BFH für ernstlich zweifelhaft, weil das Finanzamt die Besteuerung bei der Begründung der vermeintlichen Betriebsaufspaltung nicht etwa deshalb unterlassen hat, weil es annahm, die Entnahme sei in einem späteren Bescheid zu erfassen. Zwar hat das Finanzamt von der Besteuerung eines Entnahmegewinns abgesehen, weil es der Auffassung war, die in dem Grundstück ruhenden stillen Reserven blieben nicht unversteuert. Die in einem späteren Zeitpunkt zu erwartende Versteuerung der stillen Reserven konnte jedoch aus der damaligen Sicht des Finanzamts auf unterschiedlichen Sachverhalten beruhen, z.B. auf der Beendigung des Mietverhältnisses mit dem Betriebsunternehmen oder der Veräußerung des Grundstücks. Ob allein die Erwartung des Finanzamts, die stillen Reserven seien irgendwann aufgrund irgendeines Sachverhalts zu erfassen, die Anwendbarkeit des § 174 Abs. 3 AO rechtfertigt, erscheint deshalb zumindest ernstlich zweifelhaft.

Nichts anderes kann gelten, wenn zunächst infolge der Beteiligung aller Gesellschafter an der Besitz- und der Betriebsgesellschaft ungeachtet der Einstimmigkeitsabrede in der Besitz-GbR eine (echte oder unechte) Betriebsaufspaltung bestanden hat, diese aber in einem späteren Jahr dadurch beendet wurde, dass einige Gesellschafter ihre Beteiligung an der Betriebsgesellschaft aufgegeben haben. In diesem Fall ist es der Sachverhalt der Beendigung der personellen Verflechtung, den das Finanzamt mit Rücksicht auf die damalige Verwaltungsauffassung steuerlich nicht erfasst hat. Es hat dies aber nicht getan, weil es der Auffassung war, der Sachverhalt der Beendigung der personellen Verflechtung sei später zu erfassen.

 

Praxishinweis

Auch das Schrifttum hält die Auffassung der Finanzverwaltung für unzutreffend[4].

 

Link zur Entscheidung

BFH-Beschluss vom 18.8.2005, IV B 167/04

[2] Vgl. ebenda, unter V.1.
[3] Vgl. BMF-Schreiben vom 7.10.2002, a.a.O. (Fn. 1)
[4] Vgl. z.B. Mitsch, Einst...

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