Leitsatz (amtlich)

Eine architektenähnliche Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG liegt vor, wenn sie in ihren wesentlichen Elementen dem Beruf des Architekten in Theorie (Ausbildung, Kenntnisse, Qualifikation) und Praxis (berufliche Tätigkeit) gleichwertig ist. Der Nachweis theoretischer Kenntnisse kann anhand eigener praktischer Arbeiten geführt werden, wenn die Ausübung der beruflichen Tätigkeit das Wissen des Kernbereichs eines Architektenstudiums voraussetzt.

 

Sachverhalt

Der 1946 geborene Kläger schloss 1963 eine Betonbauer-Lehre erfolgreich ab. Danach war er als Facharbeiter in verschiedenen Bauunternehmen und als Volontär in einem Architekturbüro tätig. Von 1966 bis 1968 besuchte er eine Bautechniker-Schule. In der Folgezeit war der Kläger als angestellter Planer bzw. Bauleiter bei verschiedenen Arbeitgebern tätig. Seit 1973 betreibt er ein eigenes Planungs- und Bauleitungsbüro. Ein Antrag auf Eintragung in die Architektenliste wurde am 6.5.1994 abgelehnt. Das Finanzamt beurteilte die Tätigkeit des Klägers als gewerblich. Das FG wies die Klage nach Einholung des Gutachtens eines Sachverständigen ab. Der Kläger habe nicht einen der Berufstätigkeit der Architekten ähnlichen Beruf ausgeübt. Für die Bejahung der Vergleichbarkeit seien auch Fachkenntnisse erforderlich, die in ihrer fachlichen Breite denen eines Architekten entsprächen. Daran fehle es. Der Kläger besitze keine Kenntnisse auf Gebieten, die zum Kernbereich eines Studiums eines Architekten gehörten, z.B. schwierige öffentliche Bauten, Städtebau, Bau- und Architekturgeschichte. Die Revision blieb erfolglos.

 

Entscheidungsgründe

Der Kläger war in den Streitjahren gewerblich und nicht gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG freiberuflich tätig. Er übte weder die selbstständige Berufstätigkeit eines Architekten aus noch einen ähnlichen Beruf. Eine solche - besonders anspruchsvolle - Tätigkeit muss sowohl der Tiefe als auch der Breite nach zumindest das Wissen des Kernbereichs eines Fachstudiums voraussetzen[1]. Der Senat hat zwar Bedenken, ob die Planung von öffentlichen Verwaltungsgebäuden, Messehallen, Altenzentren, Krankenhäusern etc. zum Kernbereich theoretischer Kenntnisse gehört. Selbst wenn man weniger hohe Anforderungen an das für die Bejahung einer architektenähnlichen Tätigkeit erforderliche theoretische Wissen stellt als das FG, erweist sich dessen Entscheidung aber als zutreffend. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG sind die vom Kläger im Bereich des Wohnungsbaus durchgeführten Arbeiten nicht so beschaffen, dass aus ihnen auf eine Ausbildung, einen Kenntnisstand und eine Qualifikation geschlossen werden kann, die durch den Kernbereich eines Architektenstudium vermittelt werden, z.B. auch Kenntnisse im Bereich des Gewerbe- oder Industriebaus, der städtebaulichen Gestaltung und Entwicklung, der Denkmalspflege und des Baus im alten Bestand. Dass der Kläger typische Architektenleistungen wie die Planung von Doppel-, Reihen- und Mehrfamilienhäusern ausgeführt hat, ist nicht ausreichend; denn diese Arbeiten lassen nicht unmittelbar erkennen, dass sie nur mit Hilfe des dem Kernbereich eines Architektenstudiums entsprechenden theoretischen Wissens zu bewerkstelligen gewesen wären.

Das BFH-Urteil vom 12.10.1989[2] darf nicht dahin missverstanden werden, dass jede Bauleitertätigkeit architektenähnlich sei. In jenem Fall war der Kläger zunächst mit einer "gutachterischen, technischen und wirtschaftlichen Planung von Bauwerken" befasst und damit unstreitig architektenähnlich tätig geworden; streitig war nur, ob eine spätere bauleitende Tätigkeit ebenfalls als architektenähnlich einzustufen sei.

 

Link zur Entscheidung

BFH vom 11.8.1999 - XI R 47/98

[2] Vgl. BFH-Urteil vom 12.10.1989, IVR118, 119/87, BStBl II 1990, S. 64

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