Leitsatz
Das Finanzamt ist im Rahmen der ertragsteuerrechtlichen Gewinnermittlung auch dann nicht an die rechtliche Beurteilung gebunden, die der vom Steuerpflichtigen aufgestellten Bilanz (und deren einzelnen Ansätzen) zugrunde liegt, wenn diese Beurteilung aus der Sicht eines ordentlichen und gewissenhaften Kaufmanns im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung vertretbar war.
Sachverhalt
Eine GmbH betreibt ein Mobilfunkunternehmen. Im Jahr 1996 bot sie ihren Kunden den verbilligten Erwerb von Mobiltelefonen für den Fall an, dass diese mit ihr einen Mobilfunkdienstleistungsvertrag mit einer Laufzeit von mindestens 24 Monaten abschlossen. Streitig ist, ob die GmbH die entstehenden Kosten für die verbilligte Überlassung der Mobiltelefongeräte als aktive Rechnungsabgrenzung (RAP) bilanzieren muss.
Der I. Senat des BFH teilt die Auffassung von Finanzamt und FG, dass ein RAP zu bilden ist. Er ist ferner der Ansicht, der RAP sei bei der Steuerfestsetzung zu berücksichtigen, obwohl die Entscheidung der GmbH, den RAP in der von ihr eingereichten Bilanz zum 31.12.1996 nicht zu bilden, zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung der kaufmännischen Sorgfalt entsprochen habe und somit subjektiv nicht fehlerhaft gewesen sei. Da diese Ansicht von der bisherigen Rechtsprechung des BFH zum subjektiven Fehlerbegriff abweicht, hat der I. Senat den Großen Senat (GrS) des BFH angerufen.
Der GrS teilt die Auffassung des I. Senats. Eine Bindung des Finanzamts an eine objektiv unzutreffende, aber im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung aus der Sicht eines ordentlichen und gewissenhaften Kaufmanns vertretbare rechtliche Beurteilung, die der vom Steuerpflichtigen aufgestellten Handels‐ oder Steuerbilanz oder deren einzelnen Ansätzen zugrunde liegt, lässt sich weder aus § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG noch aus § 4 Abs. 2 EStG ableiten. Finanzverwaltung und Gerichte sind vor allem aus verfassungsrechtlichen Gründen verpflichtet, ihrer Entscheidung die objektiv richtige Rechtslage zugrunde zu legen. Für die Besteuerung ist danach abgesehen von im Einzelfall gebotenen Billigkeitsmaßnahmen (§§ 163, 227 AO) generell die objektive Rechtslage maßgebend.
Auf die objektive Rechtslage kommt es auch dann an, wenn die vom Steuerpflichtigen einem Bilanzansatz zugrunde gelegte Rechtsauffassung der seinerzeit von der Finanzverwaltung und/oder Rechtsprechung gebilligten Bilanzierungspraxis entsprach.
Eine Übergangsregelung ist nach Meinung des GrS nicht zu treffen. Dazu wird ausgeführt, dass es zu der jetzt entschiedenen Frage keine langjährige gefestigte Rechtsprechung des BFH zugunsten der Steuerpflichtigen gebe, woraus sich eine solche Ausnahme herleiten lasse.
Hinweis
Nicht ausgeschlossen hat der GrS jedoch, dass unter Umständen Vertrauensschutz zu gewähren sei.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss v. 31.1.2013, GrS 1/10.