Leitsatz

  1. Eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung, der mangels Bekanntgabe kein wirksam gewordener Steuerbescheid zugrunde liegt, ist nicht nichtig, aber rechtswidrig und auch dann aufzuheben, wenn der Steuerbescheid nachträglich bekannt gegeben worden ist.
  2. Die in § 249 Abs. 1 und § 254 Abs. 1 AO 1977 genannten Vollstreckungsvoraussetzungen sind Statthaftigkeitsvoraussetzungen einer rechtmäßigen Vollstreckung, deren Fehlen bei Beginn der Vollstreckung zu einem nicht heilbaren Rechtsfehler führt.
 

Sachverhalt

Das Finanzamt pfändete wegen offener Umsatzsteuerforderungen das Bankguthaben des Steuerpflichtigen. Dieser wandte ein, er habe noch keinen Umsatzsteuerbescheid erhalten. Das Finanzamt übersandte ihm darauf eine Kopie des Bescheides. Gleichwohl begehrte der Steuerpflichtige weiterhin die Aufhebung der Pfändungsverfügung.

 

Entscheidung

Der BFH hat die Pfändungsverfügung aufgehoben. Er hat allerdings seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben, Vollstreckungsmaßnahmen ohne Vollstreckungsgrundlage seien nichtig. Nichtigkeit, so meint er jetzt, setze einen "offenkundigen" Mangel voraus. Das Fehlen der Vollstreckungsgrundlage sei aber der Vollstreckungsmaßnahme nicht anzusehen; im Streitfall sei die Unwirksamkeit der Bekanntgabe des vom Finanzamt erlassenen Umsatzsteuerbescheides erst anhand von Ermittlungen des FG festgestellt worden, also nicht offenkundig gewesen.

Die vor Bekanntgabe des Steuerbescheides erlassene Pfändungsverfügung sei aber als rechtswidrig aufzuheben. Die §§ 249, 254 AO enthielten Statthaftigkeitsvoraussetzungen für die Vollstreckung, die bei deren Beginn vorliegen müssten. Habe es an ihnen gefehlt, litten die Vollstreckungsmaßnahmen an einem Rechtsmangel, der nicht dadurch geheilt werde, dass das Finanzamt die Voraussetzungen für eine Vollstreckung (im Streitfall: Bekanntgabe des Steuerbescheides) nachträglich schafft.

 

Praxishinweis

Der BGH sieht Vollstreckungsmaßnahmen als nichtig an, wenn ihnen kein vollstreckbarer Titel zugrunde liegt[1]. Von dieser Beurteilung weicht der BFH jetzt ab. Er rechtfertigt dies vor dem Gebot der Rechtseinheitlichkeit damit, dass die Vollstreckung von Steuerverwaltungsakten in der AO eigenständig geregelt sei. Besondere Eigenheiten des Vollstreckungsrechts der AO zeigt der BFH allerdings nicht auf.

Wann ein Verwaltungsakt wie eine Vollstreckungsverfügung nichtig ist, ergibt sich aus § 125 Abs. 1 AO: Der zur Nichtigkeit führende Rechtsmangel muss schwerwiegend und das Gewicht des Mangels für jeden verständigen Dritten erkennbar sein. Der BFH berücksichtigt in der Besprechungsentscheidung insofern nur Umstände, die ohne Ermittlungen gleichsam augenfällig sind.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 22.10.2002, VII R 56/00

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