Leitsatz
- Auch unter der Geltung der InsO kommt es hinsichtlich der Frage, ob ein steuerrechtlicher Anspruch zur Insolvenzmasse gehört oder ob die Forderung des Gläubigers eine Insolvenzforderung ist, nicht darauf an, ob der Anspruch zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im steuerrechtlichen Sinne entstanden war, sondern darauf, ob in diesem Zeitpunkt nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den Anspruch bereits gelegt war. Es besteht kein Anlass, von dieser unter der Geltung der KO entwickelten Rechtsprechung abzuweichen.
- Will das Finanzamt nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Aufrechnung gegen einen Vorsteuervergütungsanspruch des Schuldners erklären und setzt sich dieser Anspruch sowohl aus vor als auch aus nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vorsteuerbeträgen zusammen, hat das Finanzamt nach §96 Abs.1 Nr.1 InsO sicherzustellen, dass die Aufrechnung den Vorsteuervergütungsanspruch nur insoweit erfasst, als sich dieser aus Vorsteuerbeträgen zusammensetzt, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sind (Fortführung der Senatsrechtsprechung, Urteil vom 5.10.2004, VIIR69/03, INF 2005, S.201).
- §96 Abs.1 Nr.3 InsO hindert nicht die Aufrechnung des Finanzamts mit Steuerforderungen aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den aus dem Vergütungsanspruch des vorläufigen Insolvenzverwalters herrührenden Vorsteueranspruch des Insolvenzschuldners. Die für das Finanzamt durch den Vorsteueranspruch des Schuldners entstandene Aufrechnungslage beruht nicht auf einer nach der InsO anfechtbaren Rechtshandlung.
Sachverhalt
Der Insolvenzverwalter in einem am 1.8.2000 eröffneten Insolvenzverfahren gab für die Schuldnerin eine Umsatzsteuer-Voranmeldung für August 2000 ab, die zu einem Vorsteuerüberschuss führte. Teilweise beruhte der Überschuss auf der von dem vorläufigen Insolvenzverwalter für seine Vergütung in Rechnung gestellten Umsatzsteuer. In Höhe dieses Betrags zahlte das Finanzamt das Guthaben nicht aus, sondern verrechnete es mit Umsatzsteuerforderungen aus der Zeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Aufgrund der hiergegen vom Verwalter erhobenen Einwände erließ das Finanzamt den angefochtenen Abrechnungsbescheid.
Entscheidung
Der BFH hat den Rechtsstreit an das FG zurückverwiesen. Soweit ein Vorsteuerüberschuss auf vor oder nach der Insolvenzeröffnung erbrachten Unternehmerleistungen beruht, ist der Überschuss zunächst mit der für den betreffenden Besteuerungszeitraum berechneten Umsatzsteuer zu saldieren. Nur ein nach dieser Saldierung verbleibender Vorsteuervergütungsanspruch kann vom Finanzamt verrechnet werden, und zwar nur insoweit, als er vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden ist. Das ist bei einer Steuerforderung und einem Vergütungs- oder Erstattungsanspruch der Fall, wenn der zugrunde liegende zivilrechtliche Sachverhalt, der zu der Entstehung der Steueransprüche führt, vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwirklicht worden ist.
Praxishinweis
Die Entscheidung des BFH knüpft an die ständige Rechtsprechung zur KO an. Bestanden zur Aufrechnung sich gegenüberstehende Forderungen des Schuldners und eines Insolvenzgläubigers bereits im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzver-fahrens, ist der Insolvenzgläubiger zur Aufrechnung befugt, auch wenn die Aufrechnungslage erst während des Insolvenzverfahrens eintritt, weil die aufzurechnende Hauptforderung im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch aufschiebend bedingt oder nicht fällig war. Eine Aufrechnung ist im Insolvenzverfahren aber u.a. dann unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Maßgeblich dafür ist indes nicht das steuerrechtliche Entstehen einer Forderung, sondern ob die Hauptforderung "ihrem Kern nach" bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist.
Link zur Entscheidung
BFH-Urteil vom 16.11.2004, VII R 75/03