Leitsatz
Es besteht weder eine rechtliche noch eine sittliche Verpflichtung, eine von der Krankenkasse nicht bezahlte naturheilkundliche Krebsnachbehandlung in Höhe von rund 700 000 DM für einen krankenversicherten Elternteil zu tragen.
Sachverhalt
Der 1922 geborene Vater des Klägers verfügte im Streitjahr 1996 über eine monatliche Rente von 2 147 DM. Er war Eigentümer zweier nebeneinander liegender Häuser, von denen eines von den Klägern unentgeltlich, das andere von ihm und seiner Lebensgefährtin bewohnt wurde. 1995 erkrankte der Vater an Krebs. Durch die Nachbehandlung entstanden ab 1995 Kosten von mehr als 700 000 DM, die von den Klägern getragen wurden. Der Vater verstarb im November 2000 an einer anderen Erkrankung. Vor seinem Tod übertrug er die beiden Grundstücke auf den Kläger.
Die in der ESt-Erklärung 1995 erstmals geltend gemachten Behandlungskosten von 103 704 DM erkannte das Finanzamt als außergewöhnliche Belastung an, nicht hingegen die im Streitjahr 1996 beanspruchten weiteren Aufwendungen von 215 028,32 DM. Die dagegen nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage wies das FG als unbegründet ab.
Entscheidung
Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes, so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird. Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen.
Die Aufwendungen sind dem Kläger nicht aus rechtlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Er ist zwar dem Vater nach den §§ 1601 ff. BGB zum Unterhalt verpflichtet, wenn dieser außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Dieser Unterhaltsanspruch kann auch Kosten für eine Heilbehandlung umfassen, wenn der Unterhaltsberechtigte nicht über eine eigene Krankenversicherung verfügt, oder die Behandlung von den Krankenkassen nicht oder nicht vollständig getragenwird. Es besteht unterhaltsrechtlich jedoch – ungeachtet der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten – keine Pflicht, Aufwendungen für eine von Krankenkassen nicht bezahlte naturheilkundliche Krebsnachbehandlung in Höhe von insgesamt rund 700 000 DM zu tragen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der durch eine Krebserkrankung entstehende notwendige Bedarf für die eigentliche Heilbehandlung durch Krankenkassen abgedeckt wird.
Darüber hinaus verfügte der Vater des Klägers im Streitjahr über ausreichendes eigenes Vermögen, um die Kosten für die Krebsnachbehandlung selbst zu bezahlen. Das bürgerliche Unterhaltsrecht mutet es einem volljährigen Unterhaltsberechtigten grundsätzlich zu, sein Vermögen gegebenenfalls durch Substanzverbrauch einzusetzen.
Dem Kläger sind die Aufwendungen für die Krebsnachbehandlung des Vaters auch nicht aus sittlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Sittliche Gründe liegen dann vor, wenn nach dem Urteil der Mehrzahl billig und gerecht denkender Menschen ein Steuerpflichtiger sich zu der betreffenden Leistung verpflichtet sehen kann. Sittlich zu billigende oder besonders anerkennenswerte Gründe allein reichen nicht aus. Das sittliche Gebot muss vielmehr ähnlich einem Rechtszwang von außen als Forderung oder zumindest Erwartung der Gesellschaft derart in Erscheinung treten, dass die Unterlassung Nachteile im sittlich-moralischen Bereich oder auf gesellschaftlicher Ebene zur Folge haben kann.
Das FG hat eine sittliche Verpflichtung verneint, weil der Vater des Klägers über ein Vermögen verfügte, das ausreichte, die Aufwendungen zu decken. Eine sittliche Verpflichtung i. S. des § 33 Abs. 1 EStG, Aufwendungen für dritte Personen zu tragen, kommt nur dann in Betracht, wenn die unterstützte Person nicht selbst in der Lage ist, die Aufwendungen aus eigenen Mitteln zu bestreiten. Verfügt der Empfänger über eigenes, nicht nur geringfügiges Vermögen, sind die Aufwendungen nicht zwangsläufig. Denn die Gesellschaft erachtet es als zumutbar, wenn nicht gar als selbstverständlich, dass zunächst eigenes Vermögen eingesetzt und erst danach die Unterstützung naher Angehöriger beansprucht wird.
Nach Auffassung des Senats scheitert der Abzug ungeachtet der Vermögensverhältnisse des Vaters schon deshalb, weil der Kläger sittlich nicht verpflichtet war, die Nachbehandlung zu bezahlen. Die eigentliche Krebsbehandlung wurde von den Krankenkassen bezahlt. Es ist zwar verständlich und – insbesondere bei schweren, das Leben bedrohenden Krankheiten – nicht unüblich, dass sich Steuerpflichtige darüber hinaus weiteren Maßnahmen unterziehen, um den Heilerfolg sicherzustellen und einem weiteren Ausbruch der Krankheit vorzubeugen. Es ist auch sittlich anerkennenswert, wenn wirtschaftlich...