Leitsätze (amtlich)

  1. Auskunftsersuchen nach § 93 Abs. 1 AO 1977 sind auch im Vollstreckungsverfahren zulässig.
  2. Eine Rangfolge, welche von mehreren - möglicherweise - als Auskunftspflichtige in Betracht kommenden Personen in Anspruch zu nehmen ist, schreibt § 93 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 nicht vor. Die Inanspruchnahme eines Dritten zur Auskunftserteilung bedarf jedoch einer Interessenabwägung zwischen den besonderen Belastungen, denen ein Auskunftsverpflichteter ausgesetzt ist, und dem Interesse der Allgemeinheit an der möglichst gleichmäßigen Festsetzung und Verwirklichung der Steueransprüche. Die Beantwortung eines Auskunftsersuchens ist in der Regel auch dann zumutbar, wenn mit dessen Befolgung eine nicht unverhältnismäßige Beeinträchtigung eigenwirtschaftlicher Interessen verbunden ist.
  1. Über die Begründungserfordernisse des § 93 Abs. 1 und 2 AO 1977 hinaus ist eine Begründung des Auskunftsersuchens dazu, warum das FA einen bestimmten Auskunftspflichtigen vor einem anderen Auskunftsverpflichteten in Anspruch nimmt, nur erforderlich, wenn gewichtige Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der andere vorrangig in Anspruch zu nehmen sein könnte.
 

Sachverhalt

Das Finanzamt betreibt die Vollstreckung gegen M und dessen Ehefrau. Beide Vollstreckungsschuldner haben nach verschiedenen fruchtlosen Pfändungsversuchen eidesstattliche Versicherungen abgegeben. Im Januar 1997 hat das Finanzamt mit zwei maschinell erstellten Schreiben bei der Klägerin, einem Stromversorgungsunternehmen, nach einer eventuell für die Vollstreckungsschuldner gespeicherten Bank- bzw. Sparkassenverbindung angefragt. Mit einem weiteren Schreiben erinnerte das Finanzamt an die Aufforderung zur Auskunftserteilung und drohte für den Fall der Nichtbefolgung ein Zwangsgeld an. Die dagegen erhobene Klage hatte Erfolg[1]. Die Revision des Finanzamts führte dagegen zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage.

 

Entscheidungsgründe

Das auf § 93 Abs. 1 AO gestützte Auskunftsersuchen ist auch im Vollstreckungsverfahren zulässig. Die Regelung des § 93 Abs. 1 AO ist unabhängig davon, ob das Auskunftsersuchen im Festsetzungs-, Erhebungs- oder Vollstreckungsverfahren ergeht[2]. Im Rahmen seiner Ermittlungen durfte sich das Finanzamt der Beweismittel bedienen, die es nach pflichtgemäßem Ermessen zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hielt[3]. Zu diesen Beweismitteln zählen auch Auskünfte anderer Personen als der Beteiligten im Besteuerungsverfahren[4]. Die rechtliche Befugnis zu solchen Auskunftsverlangen ergibt sich aus § 93 Abs. 1 Satz 1 AO. Die Ausnutzung dieser Befugnisse verstößt nicht gegen verfassungsrechtliche Grundsätze. Die Auskunftsersuchen des Finanzamts an die Klägerin waren i.S. des § 93 Abs. 1 Satz 1 AO zur Feststellung eines für die Besteuerung bzw. Vollstreckung erheblichen Sachverhalts erforderlich. Zur Erfüllung der Merkmale dieses Tatbestandes genügt es, wenn die Finanzverwaltung im Rahmen ihrer Prognoseentscheidung im Wege vorweggenommener Beweiswürdigung nach pflichtgemäßem Ermessen zu dem Ergebnis gelangt, dass die Auskunft zu steuererheblichen Tatsachen zu führen vermag. Diese Voraussetzung liegt hier vor.

Gemäß § 92 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 1 AO steht es im pflichtgemäßen Ermessen des Finanzamts, ob es die Klägerin zur Auskunftserteilung in Anspruch nimmt. Die entsprechende Ermessensentscheidung des Finanzamts enthält keine Rechtsfehler. Nach allgemeiner Meinung kann die Finanzbehörde Auskunft von einem Dritten nur verlangen, wenn sie zur Sachverhaltsaufklärung geeignet und notwendig, die Pflichterfüllung für den Betreffenden möglich und seine Inanspruchnahme erforderlich, verhältnismäßig und zumutbar ist[5]. Die geforderte Auskunft war geeignet, eine möglicherweise verschwiegene Bankverbindung bzw. ein Konto, auf dem sich noch ein pfändbares Guthaben befunden hat, aufzudecken; denn das Stromversorgungsunternehmen hatte die Stromlieferungen an die Vollstreckungsschuldner bis zum Ergehen des Auskunftsersuchens nicht eingestellt. Es bestehen auch keine Zweifel, dass der Klägerin die geforderte Auskunft möglich war; denn die in der EDV gespeicherten Kundendaten sind für die Klägerin ohne größeren Aufwand abrufbar. Das Auskunftsverlangen war zur Sachverhaltsermittlung im Vollstreckungsverfahren auch notwendig. Weder die Vollstreckungsversuche noch das der Finanzbehörde gegen die Vollstreckungsschuldner zur Verfügung stehende einschneidendste Mittel der Sachverhaltsaufklärung - nämlich die Ladung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung - haben zur vollständigen Kenntnis der Behörde über die tatsächlich vorhandenen Konten geführt. Die Inanspruchnahme der Klägerin war auch erforderlich. Dem Finanzamt stand ein ebenso unkompliziertes und effektives Aufklärungsmittel wie die Anfrage bei der Klägerin nicht zur Verfügung. Der auskunftspflichtige Dritte hat grundsätzlich auch keinen Anspruch darauf, dass die auskunftsberechtigte Behörde von der Befragung Abstand nimmt, weil möglicherweise eine gleichartige Auskunft von einem andere...

Dieser Inhalt ist unter anderem im WohnungsWirtschafts Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?