Anna-Christina Hartmann, Rainer Hartmann
Leitsatz
Zieht ein Arbeitnehmer aus Deutschland in die Nähe seiner bisherigen Arbeitstelle in der Schweiz, findet die überdachende deutsche Besteuerung des Art. 4 Abs. 4 DBA/Schweiz – sog. Abwandererregelung – auch dann keine Anwendung, wenn der Umzug in die Schweiz erst mehrere Jahre nach der dortigen Arbeitsaufnahme erfolgt.
Sachverhalt
Die Grenzgängereigenschaft nach Art. 15a Abs. 1 DBA/Schweiz findet keine Anwendung, wenn ein im Inland beschäftigter Arbeitnehmer, der nicht die Schweizer Staatsangehörigkeit besitzt, seinen Wohnsitz in die Schweiz verlegt. In diesem Fall regelt das DBA die überdachende deutsche Besteuerung für weitere 5 Jahre beim Wegzug in die Schweiz, sofern der Arbeitnehmer zuvor mindestens 5 Jahre unbeschränkt steuerpflichtig war (sog. Abwandererregelung des Art. 4 Abs. 4 DBA/Schweiz).
Die Abwandererregelung gilt ausnahmsweise nicht, wenn mit der Wohnsitznahme in der Schweiz der Zweck verfolgt wird, dort eine Arbeitnehmertätigkeit auszuüben. Nach Auffassung des BFH ist diese Ausnahme von der überdachenden Besteuerung auch auf solche Sachverhalte anzuwenden, in denen der Arbeitnehmer erst nach mehreren Jahre nach der Arbeitsaufnahme beim schweizerischen Arbeitgeber seinen Wohnort in die Schweiz verlegt. Der Arbeitnehmer unterliegt deshalb abweichend von der bisherigen Besteuerungspraxis auch bei Umzügen mit Fortsetzung der bestehenden schweizer Beschäftigung der Besteuerung im Wohnsitzstaat Schweiz und nicht der Abwandererregelung. Die Finanzverwaltung hat bislang den Ausschluss der Abwandererregelung davon abhängig gemacht, dass das Motiv für den Wohnsitzwechsel, die beabsichtigte Arbeitsaufnahme in der Schweiz ist. Der BFH folgt dieser Auffassung nicht, nach der Art. 4 Abs. 4 DBA/CH nur ausgeschlossen ist, wenn der Wohnsitzwechsel mit einer Verlagerung der Einkunftsquelle in die Schweiz zusammen fällt.
Kommentar
Ein im Inland wohnhafter Steuerpflichtiger ist seit 2009 als Grenzgänger in Basel beschäftigt. Seine Ehefrau bezieht ebenfalls Lohneinkünfte aus einem inländischen Dienstverhältnis. Zum 1.5.2011 wechselt das Ehepaar den Wohnsitz und zieht nach Basel in die Nähe des Arbeitsplatzes des Ehemanns. Ab 1.5.2011 pendelt die Ehefrau täglich zu ihrer deutschen Arbeitsstätte.
Die Abwandererregelung ist für jeden Ehegatten getrennt zu prüfen. Der Ehemann zieht in die Schweiz wegen seiner Arbeitstätigkeit. Er fällt nicht unter die überdachende Besteuerung in Deutschland, weil nach der BFH-Rechtsprechung auch der Umzug bei bereits (langjährig) bestehendem Dienstverhältnis die sog. Abwanderregelung ausschließt. Die Ehefrau bezieht auch nach ihrem Wegzug Einkünfte aus einer inländischen Arbeitnehmertätigkeit. Da die überdachende Besteuerung der Grenzgängerregelung vorgeht, obliegt Deutschland auch nach dem Wegzug die Besteuerung der inländischen Lohnbezüge im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht. Der Arbeitgeber hat den Lohnsteuerabzug bei Vorlage einer Bescheinigung für beschränkt Steuerpflichtige nach der Steuerklasse I durchzuführen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil v. 19.10.2010, I R 109/09.