Leitsatz
§ 24 Abs. 2 Satz 3 UStG 1999, wonach Gewerbebetriebe kraft Rechtsform die für Land- und Forstwirte geltende Durchschnittssatzbesteuerung nicht in Anspruch nehmen können, auch wenn im Übrigen die Merkmale eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes vorliegen, verletzt das Gemeinschaftsrecht und ist daher nicht anzuwenden.
Sachverhalt
Eine eingetragene Genossenschaft bewirtschaftete ein Forstareal von ca. 23 ha. Das Finanzamt erfasste ihre Umsätze und Vorsteuerbeträge nach der Regelbesteuerung; die Durchschnittssatzbesteuerung sei für eine Erwerbs– und Wirtschaftsgenossenschaft nicht anwendbar. Nach erfolgloser Klage legte die Genossenschaft Revision ein.
Entscheidung
Der BFH folgt der Auffassung der Genossenschaft, dass für ihre Umsätze die Durchschnittssatzbesteuerung für land- und forstwirtschaftliche Betriebe gelte. Zwar soll gemäß § 24 Abs. 2 Satz 3 UStG ein Gewerbebetrieb kraft Rechtsform auch dann nicht als land- und forstwirtschaftlicher Betrieb anzusehen sein, wenn im Übrigen die Merkmale eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs vorliegen. Die eingetragene Genossenschaft gehört zu den Gewerbebetrieben kraft Rechtsform nach § 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG. Da aber Art. 25 der 6. EG-Richtlinie, auf dem § 24 UStG "beruht", keine dem § 24 Abs. 2 Satz 3 UStG entsprechende Beschränkung enthält und den nationalen Gesetzgeber wegen des gemeinschaftsrechtlich geltenden Neutralitätsgebots auch nicht dazu ermächtigt, eine entsprechende Regelung zu treffen, beurteilte der BFH den § 24 Abs. 2 Satz 3 UStG als (generell) nicht anwendbar.
Art. 25 Abs. 9 der 6. EG-Richtlinie eröffnet zwar jedem Mitgliedstaat "die Möglichkeit, bestimmte Gruppen landwirtschaftlicher Erzeuger sowie diejenigen landwirtschaftlichen Erzeuger von der Pauschalregelung auszunehmen, bei denen die Anwendung der normalen Mehrwertsteuerregelung oder ggf. der vereinfachten Regelung nach Art. 24 Abs. 1 keine verwaltungstechnischen Schwierigkeiten mit sich bringt".
Die Richtlinienbestimmung ermächtigt den nationalen Gesetzgeber aber nicht dazu, eine Ausnahme zu schaffen, die dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität insofern widerspricht, als dass Wirtschaftsteilnehmer, die gleichartige Umsätze bewirken, bei der Mehrwertsteuererhebung – abhängig von der Rechtsform des Steuerpflichtigen – unterschiedlich behandelt werden.
Eine Vorlage an den EuGH hielt der BFH für nicht erforderlich, weil das Neutralitätsgebot bereits Gegenstand mehrerer Urteile des EuGH war.
Hinweis
Die Entscheidung bewirkt, dass § 24 Abs. 2 Satz 3 UStG faktisch nicht mehr gilt (was sich für alle noch "offenen" Fälle auswirken kann). Eine ausdrückliche Aufhebung durch den Gesetzgeber ist aus Gründen der Rechtssicherheit empfehlenswert.
Der BFH hatte bereits 1972 vergleichbar gegen eine Verwaltungspraxis entschieden. Dies führte zu einer “rechtsformneutralen Gesetzesfassung, die aber m. W. vom 1.7.1982 wieder beseitigt wurde. Die jetzige Entscheidung des BFH kann sich zudem auf das gemeinschaftsrechtliche Prinzip der Rechtsformneutralität im Mehrwertsteuerrecht stützen. Sie ergibt einen übersichtlicheren, richtlinienkonformen Anwendungsbereich der Pauschalregelung des § 24 UStG.
Nach Sinn- und Zweck der Pauschalregelung (Vereinfachung für i.d. Regel nicht buchführende Betriebe) hätte man die deutsche Ausnahme billigen können.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil v. 16.4.2008, XI R 73/07.