Das steht im Urteil
Sind mit Billigung eines leitenden Bankangestellten Wertpapiere anonym ins Ausland verlagert und hierdurch Steuern hinterzogen worden, so ist ernstlich zweifelhaft, ob der Bankangestellte als Steuerhinterzieher gem. § 71 AO in Anspruch genommen werden kann, wenn die Haupttäter bisher noch nicht ermittelt werden konnten.
Der Sachverhalt
Es ging um A, den Leiter der Wertpapierabteilung bei einem Kreditinstitut. In seinem Verantwortungsbereich wurden am Schalter eingelieferte Wertpapiere von Kunden entgegengenommen und zu ausländischen Kreditinstituten verbracht, ohne die Identität der Kunden zu dokumentieren. Stattdessen wurden den einzelnen Geschäftsvorfällen Nummern zugeordnet, die keinen unmittelbaren Rückschluss auf die Identität der dahinterstehenden Kunden zuließen. Bisher ist noch nicht geklärt, ob diese Vorgänge durch interne Geschäftsanweisungen des A gefördert oder begünstigt wurden.
Seit 1996 führte das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung bei dem Kreditinstitut Ermittlungen wegen des Verdachts der Beihilfe zur Steuerhinterziehung gegen Mitarbeiter und Vorstandsmitglieder des Kreditinstituts durch. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen hatte nahezu kein nachträglich identifizierter Kunde die Erträge aus den ins Ausland transferierten Wertpapieren in seiner Einkommensteuererklärung für 1993 deklariert.
Aufgrund dieses Ergebnisses nahm das Finanzamt den A gem. § 71 AO wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in 638 Fällen in Haftung. Dabei hatte es die Höhe der hinterzogenen Einkommensteuer geschätzt. Gegen den Haftungsbescheid erhob A Einspruch, den das Finanzamt als unbegründet zurückwies. Über die von A erhobene Anfechtungsklage hat das Finanzgericht bisher noch nicht entschieden. Der Antrag des A auf Aussetzung der Vollziehung hatte jedoch beim BFH Erfolg.
Die Meinung des BFH
Der BFH geht davon aus, dass durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden kann, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (§ 191 Abs. 1 Satz 1 AO). Eine solche Haftung besteht für den, der eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Straftat teilnimmt (§ 71 AO).
Durch höchstrichterliche Rechtsprechung ist bisher nicht geklärt, ob eine Haftung des Teilnehmers einer Steuerhinterziehung gem. § 71 AO auch dann in Betracht kommt, wenn der Haupttäter der Steuerhinterziehung nicht ermittelt werden kann. Soweit der BFH in der Vergangenheit über die Haftung von Gehilfen gem. § 71 AO zu entscheiden hatte, stand außer Zweifel, dass eine Steuerhinterziehung begangen worden war und wer der Haupttäter ist. In diesen Fällen ging es vor allem darum, ob der als Haftender in Anspruch genommene Gehilfe einen geeigneten Beitrag zur Haupttat geleistet hatte, und ob seine Inanspruchnahme als Haftungsschuldner ermessensgerecht war. Im Streitfall müsste dagegen erstmals entschieden werden, welche Auswirkungen es für die Haftung des Gehilfen hat, wenn der Haupttäter nicht ermittelt werden kann und wenn nicht festzustellen ist, welche Steuer durch die Haupttat konkret hinterzogen worden ist. Diese Rechtsfragen lassen sich nicht eindeutig i.S.d. Finanzamts beantworten. Der BFH hat deshalb ernstliche Zweifel, ob der Haftungsbescheid rechtmäßig ist.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 16.07.2009, VIII B 64/09v. 16.7.2009, VIII B 64/09