Leitsatz
Dem EuGH werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
- Darf die Finanzverwaltung die Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung, die zweifelsfrei vorliegt, allein mit der Begründung versagen, der Steuerpflichtige habe den dafür vorgeschriebenen Buchnachweis nicht rechtzeitig geführt?
- Kommt es zur Beantwortung der Frage darauf an, ob der Steuerpflichtige zunächst bewusst das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung verschleiert hat?
Sachverhalt
Eine Autohaus-GmbH war Vertragshändler der A-AG. Der belgische Autohändler B kaufte im Frühjahr 1994 bei der GmbH 20 Vorführwagen, überwies die Kaufpreise netto auf ein speziell für die Abwicklung eingerichtetes Konto der GmbH und holte die Fahrzeuge nach Eingang des Geldes mit einem eigenen Transporter vom Hof der GmbH ab. Da der GmbH aus Gebietsschutzgründen nur für Verkäufe an Abnehmer in der näheren Umgebung ein Provisionsanspruch gegenüber der A-AG zustand, schaltete sie pro forma den Kfz-Händler S gegen eine Provision ein. Die GmbH schloss daraufhin mit S "Kaufverträge" über die PKW ab und stellte hierüber Rechnungen unter Ausweis von Umsatzsteuer aus. S überließ der GmbH Blanko-Rechnungsformulare, auf denen sodann in seinem Namen Rechnungen über die Lieferungen der Vorführwagen an B ausgestellt wurden.
S machte für 1994 die ihm von der GmbH in Rechnung gestellte Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend; diese sollte anschließend an die GmbH weitergeleitet werden. Das Finanzamt wertete die Verkäufe der GmbH an S nach einer Sonderprüfung bei S im Oktober 1994 als Scheinlieferungen und versagte S den Vorsteuerabzug.
Die GmbH, die den Vorgang zunächst als steuerpflichtigen Umsatz behandelt hatte, erfuhr im November 1994 davon und buchte sofort unter Stornierung der bisherigen Buchungen die Erlöse auf dem Konto "steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen". Das Finanzamt nahm dagegen steuerpflichtige Umsätze der GmbH an B an und versagte ihr die Steuerfreiheit, weil die dafür erforderlichen Aufzeichnungen nicht laufend und unmittelbar nach Ausführung des jeweiligen Umsatzes vorgenommen worden seien. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Entscheidung
Der BFH hielt eine Vorlage an den EuGH zur gemeinschaftsrechtlichen Klärung der Bedeutung des sog. Buchnachweises für erforderlich. Er verwies darauf, dass die Steuerbefreiung nach §4 Nr.1 Buchst.b UStG den Nachweis der innergemeinschaftlichen Lieferungen gemäß §6a UStG voraussetzt und dass dafür ein sog. Belegnachweis gem. §17a Abs.1 UStDV und ein sog. Buchnachweis gem. §17c Abs.1 Satz1 UStDV erforderlich sind, nach dem die Voraussetzungen "eindeutig und leicht nachprüfbar aus der Buchführung zu ersehen" sein müssen.
Der BFH hat zu den Anforderungen an den Nachweis einer Ausfuhrlieferung in das "Drittlandsgebiet" entschieden, dass die für den buchmäßigen Nachweis erforderlichen Aufzeichnungen "laufend und unmittelbar nach Ausführung der jeweiligen Umsätze" vorgenommen werden müssen. Sofern man diese Anforderungen angesichts des identischen Wortlauts der einschlägigen Vorschriften auch für den Nachweis einer innergemeinschaftlichen Lieferung stellt, sind sie im Streitfall nicht erfüllt. Die zwischen Juli und September 1994 von der GmbH ausgeführten Lieferungen der 20PKW wurden erst im November 1994 buchmäßig als innergemeinschaftliche Lieferungen behandelt. Dass der Kaufvertrag mit B und dessen Abholbestätigung vorlagen und die Überweisung des Kaufpreises nachgewiesen wurde, reicht insoweit nicht aus.
Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit hielt der BFH es aber für zweifelhaft, ob die Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung, die – wie hier – zweifelsfrei vorliegt, allein mit der Begründung versagt werden darf, der Steuerpflichtige habe den dafür vorgeschriebenen Buchnachweis nicht rechtzeitig geführt. Er verwies dazu auf den Österreichischen Verfassungsgerichtshof.
Nach Art.28c TeilA Buchst.a der 6. EG-Richtlinie können die Mitgliedstaaten zwar eine innergemeinschaftliche Lieferung (nur) unter den Bedingungen von der Umsatzsteuer befreien, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der Befreiung sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehung, -umgehung und -missbrauch festlegen. Andererseits gilt auch gemeinschaftsrechtlich der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
Praxishinweis
Die Vorlage betrifft nur den Fall, dass
- eine innergemeinschaftliche Lieferung zweifelsfrei vorliegt,
- nur der sog. Buchnachweis nicht zeitnah geführt wurde und
- dem kein Versuch einer Steuerhinterziehung oder -umgehung zugrunde lag.
Der Steuerpflichtige wollte vielmehr die Vertragshändlerbindung umgehen. Das Geschäft war daher als steuerpflichtiges Inlandsgeschäft verbucht worden. Die Vorabentscheidung könnte – jedenfalls für solche Fälle – zu einer "Aufweichung" der strengen Rechtsprechung führen, die zu Ausfuhrlieferungen in Drittländer entwickelt worden sind. Vergleichbare Fälle sollten offen gehalten werden.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 10.02.2005, V R 59/03BFH-Besch...