Leitsatz
- Seit dem 1.4.2005 ist ausschließlich der BFH für eine gerichtliche Entscheidung darüber zuständig, ob die Weigerung des Finanzamts, einem Beteiligten Akteneinsicht im finanzgerichtlichen Verfahren zu gewähren, rechtmäßig ist.
- Hat das FG nach dem 31.3.2005 über einen Antrag eines Beteiligten auf Akteneinsicht entschieden, ist diese Entscheidung auf Beschwerde hin aufzuheben; der BFH trifft über die Frage der Akteneinsicht eine eigene Entscheidung.
- Die Identität eines Anzeigeerstatters kann gegenüber dem Steuerpflichtigen dem Steuergeheimnis unterliegen; im Einzelfall ist eine Abwägung vorzunehmen. Dabei kommt dem Informantenschutz regelmäßig ein höheres Gewicht gegenüber dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Steuerpflichtigen zu, wenn sich die vertraulich mitgeteilten Informationen im Wesentlichen als zutreffend erweisen und zu Steuernachforderungen führen (Bestätigung der Rechtsprechung).
Sachverhalt
Der Kläger beantragte im Finanzgerichtsverfahren wegen Umsatzsteuer 1992 bis 1994 Einsicht in die Akten des Finanzamts. Dieses verweigerte die Einsichtnahme in Aktenteile, die zwei Anzeigen gegen den Kläger betreffen, unter Hinweis auf das Steuergeheimnis. Das FG hob diese Verfügung auf und verpflichtete das Finanzamt, über den Antrag des Klägers im Rahmen einer Ermessensentscheidung und unter Beachtung der Auffassung des Gerichts erneut zu befinden. Das Finanzamt wies den Antrag auf Akteneinsicht erneut ab. Das FG setzte darauf das Hauptsacheverfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag des Klägers auf weitere Akteneinsicht aus und lehnte den Antrag in einem Zwischenverfahren nach § 86 Abs. 3 FGO ab. Der Beschwerde des Klägers half das FG nicht ab, sondern legte sie dem BFH vor.
Entscheidung
Die Beschwerde hatte zwar Erfolg, weil der BFH das Zwischenurteil des FG mangels Entscheidungsbefugnis aufgehoben hat; gleichwohl war der Antrag auf weitere Akteneinsicht unbegründet.
- Das im Hauptsacheverfahren beteiligte Finanzamt hat nach § 71 Abs. 2 FGO die den Streitfall betreffenden Akten an das Gericht zu übermitteln; es ist – wie jede Behörde – außerdem nach § 86 Abs. 1 FGO zur Vorlage von Akten verpflichtet, soweit nicht durch das Steuergeheimnis des § 30 AO geschützte Verhältnisse Dritter unbefugt offenbart werden. Verweigert das Finanzamt die Akteneinsicht, gilt nach der Neufassung des § 86 Abs. 3 FGO mit Wirkung vom 1.4.2005, dass auf Antrag eines Beteiligten (ausschließlich) der BFH in den Fällen des § 86 Abs. 1 und 2 FGO ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss feststellt, ob die Verweigerung der Aktenvorlage oder der Erteilung von Auskünften rechtmäßig ist. Die Entscheidung des FG über den Antrag des Klägers widersprach dieser Regelung.
- Der Antrag des Klägers war unbegründet, die Verweigerung der Akteneinsicht durch das Finanzamt unter Berufung auf das Steuergeheimnis nach § 30 AO rechtmäßig. Die Anzeigen gegen den Kläger hatten sich in wesentlichen Teilen als zutreffend erwiesen. Warum in dieser Situation gleichwohl dem Persönlichkeitsrecht des Klägers ein höheres Gewicht zukommen soll als dem Zweck des Steuergeheimnisses, hat der Kläger weder vorgetragen noch sind Gründe hierfür ersichtlich. Eine andere Beurteilung folgt auch nicht aus dem "Informationsfreiheitsgesetz". Dieses gilt zum einen nur gegenüber Bundesbehörden, während das Finanzamt eine Landesbehörde ist, zum anderen besteht ein Anspruch auf Informationszugang dann nicht, wenn die Information einer durch Rechtsvorschrift geregelten Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitspflicht wie § 30 AO unterliegt.
Praxishinweis
Wer dem Finanzamt "steuererhebliche" Umstände eines anderen Steuerpflichtigen anzeigt, die zutreffend sind, bleibt grundsätzlich anonym. Wahrheitsgemäße Angaben führen über das Steuergeheimnis zum Informantenschutz. Der Betroffene hat gegenüber dem Finanzamt keinen Offenlegungsanspruch. Dagegen wird ein Denunziant, der falsche Angaben macht, weder durch das Steuergeheimnis noch durch sein Persönlichkeitsrecht geschützt. Der Betroffene hat Anspruch auf Offenlegung der Information.
Link zur Entscheidung
BFH-Beschluss vom 7.12.2006, V B 163/05