Leitsatz
Das Tatbestandsmerkmal der wesentlichen Beteiligung "innerhalb der letzten fünf Jahre" i.S. des §17 Abs.1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 ist nicht für jeden abgeschlossenen Veranlagungszeitraum nach der jeweils geltenden Beteiligungsgrenze i.S. des §17 Abs.1 Satz4 EStG zu bestimmen, sondern richtet sich nach der im Jahr der Veräußerung geltenden Wesentlichkeitsgrenze. Diese Regelung ist verfassungsgemäß.
Sachverhalt
F war seit 1984 mit 10% am Stammkapital der O-GmbH von 750000DM beteiligt und hielt die Beteiligung im Privatvermögen; ihr Ehemann M war Mehrheitsgesellschafter. Mit notariellem Vertrag vom 29.12.1998 veräußerte und übertrug F einen Teilgeschäftsanteil von nominal 600DM für 600DM an M. Ihre restliche Beteiligung von 9,92% veräußerte und übertrug sie mit Vertrag vom 28.6.1999 an einen Dritten. Das Finanzamt setzte für 1999 einen Veräußerungsgewinn von 916356DM an. F machte dagegen geltend, sie sei am 28.6.1999 nicht zu mindestens 10% an der O-GmbH beteiligt gewesen. Eine wesentliche Beteiligung folge auch nicht daraus, dass sie bis zum 28.12.1998 und damit innerhalb der letzten fünf Jahre mit 10% an der O-GmbH beteiligt gewesen sei. Ob 1998 eine wesentliche Beteiligung vorgelegen habe, bestimme sich nach der für 1998 geltenden Regelung, wonach eine wesentliche Beteiligung nur bei mehr als 25% vorgelegen habe. Das FG gab der Klage mit der Begründung statt, das Tatbestandsmerkmal "wesentliche Beteiligung innerhalb der letzten fünf Jahre" müsse für jeden abgeschlossenen Veranlagungszeitraum nach der für das jeweilige Jahr geltenden Beteiligungsgrenze bestimmt werden.
Entscheidung
Der BFH hat die Vorentscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das Tatbestandsmerkmal der wesentlichen Beteiligung "innerhalb der letzten fünf Jahre" ist nach der im Jahr der Veräußerung geltenden Wesentlichkeitsgrenze zu bestimmen. Da F innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veräußerung an der O-GmbH mit 10% beteiligt war, hat sie eine wesentliche Beteiligung gehalten. Dass ihre Beteiligung im Zeitpunkt der Veräußerung nur 9,92% betragen hat und damit unter der für 1999 gültigen Wesentlichkeitsschwelle lag, ist unerheblich.
Der BFH geht nicht vom veranlagungsbezogenen Beteiligungsbegriff aus, wonach eine wesentliche Beteiligung, die innerhalb der letzten fünf Jahre bestanden haben muss, für jeden vergangenen Veranlagungszeitraum nach der damals gegebenen Rechtslage zu bestimmen ist, sondern vertritt die Auffassung, eine Anteilsveräußerung sei auch dann steuerpflichtig, wenn ein Steuerpflichtiger im zeitlichen Anwendungsbereich des §17 EStG n.F. eine Beteiligung von weniger als 10% veräußert hat, aber zu irgendeinem Zeitpunkt in den fünf Vorjahren zu mindestens 10% beteiligt war. Ob eine wesentliche Beteiligung gegeben ist, bestimmt sich nach der im Veräußerungszeitpunkt geltenden Gesetzesfassung. Das folgt aus dem Wortlaut und dem systematischen Zusammenhang von Satz1 und Satz4 des §17 Abs.1 EStG, wonach alle Beteiligungsverkäufe, die im zeitlichen Anwendungsbereich des Gesetzes erfolgen, nach der ab dem 1.1.1999 geltenden Wesentlichkeitsgrenze von mindestens 10% zu beurteilen sind. Gegen einen veranlagungsbezogenen Beteiligungsbegriff sprechen auch die Anwendungsregelung des §52 Abs.1 Satz1 EStG, wonach der Tatbestand des §17 EStG erstmals für den Veranlagungszeitraum 1999 anzuwenden ist, und das Fehlen einer Übergangsregelung.
Dass F im Zeitpunkt der Veräußerung keine wesentliche Beteiligung mehr besaß, ist auch unter dem Gesichtspunkt des Rückwirkungsverbots verfassungsrechtlich unbedenklich. Der Tatbestand des §17 EStG setzt neben der Wesentlichkeit der Beteiligung innerhalb der letzten fünf Jahre deren Veräußerung voraus. Im Zeitpunkt der Verwirklichung des letzten Tatbestandsmerkmals des §17 Abs.1 Satz1 EStG durch F war das StEntlG 1999/2000/2002 bereits verkündet. F konnte deshalb im Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung des §17 Abs.1 Satz1 EStG nicht mehr darauf vertrauen, der erzielte Gewinn sei nicht steuerpflichtig.
Praxishinweis
Mit der Absage an den "veranlagungsbezogenen Beteiligungsbegriff" und dem Abstellen auf den Fünf-Jahres-Zeitraum macht der BFH allen Gestaltungsüberlegungen einen Strich durch die Rechnung. Denn was soll der Steuerpflichtige, der sorgsam darauf geachtet hat, stets unterhalb der relevanten Beteiligungsschwelle zu bleiben, eigentlich noch machen, um bei einer späteren Veräußerung nicht doch steuerverhaftet zu werden? Da anzunehmen ist, dass die Kläger das BVerfG anrufen werden, bleibt abzuwarten, ob die Auffassung des BFH Bestand haben wird.
Link zur Entscheidung
BFH-Urteil vom 1.3.2005, VIIIR25/02