Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
- Mehraufwand, der auf einer behindertengerechten Gestaltung des individuellen Wohnumfelds beruht, steht stets so stark unter dem Gebot der sich aus der Situation ergebenden Zwangsläufigkeit, dass die Erlangung eines etwaigen Gegenwerts in Anbetracht der Gesamtumstände regelmäßig in den Hintergrund tritt (Anschluss an BFH, Urteil v. 22.10.2009, VI R 7/09, BFH/NV 2010, 304; gegen BFH, Urteil v. 10.10.1996, III R 209/94, BFH/NV 1997, 296).
- Es ist insbesondere nicht erforderlich, dass die Behinderung auf einem nicht vorhersehbaren Ereignis beruht und deshalb ein schnelles Handeln des Steuerpflichtigen oder seiner Angehörigen geboten ist. Auch die Frage nach zumutbaren Handlungsalternativen stellt sich in solchen Fällen nicht (Fortentwicklung von BFH-Urteil vom 22.10.2009, VI R 7/09, BFH/NV 2010, 304).
- Gegebenenfalls hat das FG zu der Frage, welche baulichen Maßnahmen durch die Behinderung des Steuerpflichtigen oder eines seiner Angehörigen veranlasst sind, und zur Quantifizierung der darauf entfallenden Kosten ein Sachverständigengutachten einzuholen.
Sachverhalt
Die Eheleute K haben 3 Kinder, darunter die 1989 geborene, zu 100 % schwerbehinderte C.
Sie erwarben für 30.000 EUR ein Haus und modernisierten es für 193.800 EUR. C und teilweise auch ihre Großmutter nutzten einen abgetrennten Anbau mit Schlaf-, Wohn- und Arbeitszimmer, Bad mit bodengleicher Dusche sowie Küche.
Laut Gutachten wurde dadurch die Selbstständigkeit von C gefördert und der Pflegeaufwand reduziert.
Die Krankenkasse bezuschusste das Bad.
K machten außergewöhnliche Belastungen geltend.
Finanzamt und FG lehnten das ab.
Entscheidung
Der BFH verwies die Sache an das FG zurück, das nun zu prüfen hat, inwieweit die Baukosten jeweils behinderungsbedingt sind. Insoweit sind sie abziehbar.
Hinweis
Mehraufwand für einen behindertengerechten Um- oder Neubau kann zu außergewöhnlichen Belastungen führen. Ein solcher Mehraufwand aus tatsächlichen Gründen ist weder durch den Kinderfreibetrag noch durch den Behinderten-Pauschbetrag abgegolten. Eine schwere Behinderung macht eine entsprechende Gestaltung des Wohnumfelds aus tatsächlichen Gründen unausweichlich. Bei solchen Aufwendungen ist weder entscheidend, ob ein Gegenwert zufließt, noch ob sie bei einem Neubau, einer Modernisierung oder einem Umbau entstehen:
- Mehraufwand, der durch die behindertengerechte Gestaltung eines Hauses entsteht, ist abziehbar, wenn eindeutig anhand objektiver Merkmale zwischen steuerlich unerheblichen Motiven für die Gestaltung eines Hauses und allein durch die Behinderung verursachten Aufwendungen zu unterscheiden ist.
- Einzelne Baumaßnahmen lassen sich – ggf. per Sachverständigengutachten – darauf prüfen, ob sie der Linderung einer Krankheit oder Behinderung dienen. Allerdings sind Aufwendungen nur in angemessener Höhe abziehbar und Zuschüsse anzurechnen.
Link zur Entscheidung
BFH, 24.2.2011, VI R 16/10.