Leitsatz

  1. § 52 Abs. 40 Satz 1 EStG (i.d.F. des StÄndG 2003), wonach die geänderte Fassung des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG (Pflegekinder) auf alle Fälle anzuwenden ist, in denen die Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist, ist über seinen Wortlaut hinaus auch auf nicht bestandskräftige Bescheide über Kindergeld anzuwenden.
  2. Bei der Ermittlung des notwendigen behinderungsbedingten Mehrbedarfs im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG ist der Pauschbetrag des § 33b Abs. 3 EStG nicht zusätzlich zu den Leistungen der Eingliederungshilfe und dem Pflegegeld zu berücksichtigen (Änderung der Rechtsprechung im BFH-Urteil vom 15.10.1999, VI R 183/97, BStBl II 2000, S. 72 = INF 2000, S. 220).
  3. Steht ein notwendiger behinderungsbedingter Mehrbedarf während der Zeit der häuslichen Pflege dem Grunde nach fest, ist die Höhe der Aufwendungen zur Deckung dieses Mehrbedarfs gegebenenfalls zu schätzen. Dabei müssen die Hilfeleistungen der Eltern außer Betracht bleiben und die Beträge geschätzt werden, die bei Inanspruchnahme fremder Dienstleister angefallen wären.
  4. Bei einer teilstationären Unterbringung eines behinderten Kindes besteht eine tatsächliche Vermutung dahin, dass während der Zeit der häuslichen Pflege ein notwendiger Mehrbedarf mindestens in Höhe des tatsächlich gezahlten Pflegegeldes besteht.
 

Sachverhalt

Die Familienkasse hatte abgelehnt, der Klägerin Kindergeld für den Zeitraum Mai 1998 bis November 2001 für ihren 1951 geborenen Bruder zu gewähren, den sie 1990 in ihren Haushalt aufgenommen hatte und für den sie seit 1997 als Betreuerin bestellt ist. Der Bruder, der zu 100 % in der Erwerbsfähigkeit mit den Merkmale "G" und "H" gemindert ist, bedarf ständiger Begleitung. Er ist teilstationär in einer Behindertenwerkstatt untergebracht. Die Kosten dafür werden im Rahmen der Eingliederungshilfe getragen. Das FG wies die Klage, ausgehend vom bisherigen Pflegekindbegriff ab, da die Klägerin nicht ca. 20 % der gesamten Unterhaltskosten des Bruders getragen habe. Der BFH verwies auf die Revision der Klägerin an das FG zurück, da die Sache noch nicht spruchreif sei.

 

Entscheidung

Nach dem Pflegekindbegriff des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG i.d.F. des StÄndG 2003 ist das Erfordernis entfallen, dass der Steuerpflichtige das Kind zu einem nicht unwesentlichen Teil auf seine Kosten unterhalten muss. Die übrigen Voraussetzungen – Verbundenheit durch ein familienähnliches, auf längere Dauer angelegtes Band, keine Aufnahme zu Erwerbszwecken und kein Obhuts- und Pflegeverhältnis mehr zu den Eltern – lagen vor. Der neue Pflegekindbegriff ist nach Ansicht des BFH nicht nur für die Einkommensteuer, sondern auch für das Kindergeld in allen noch nicht bestandskräftigen Fällen anzuwenden. Deswegen muss das FG erneut im Einzelnen feststellen, ob die Mittel des Bruders (Erwerbsunfähigkeitsrente, Arbeitslohn, Eingliederungshilfe und Leistungen der Pflegeversicherung, insgesamt 38149 DM) seinen Grundbedarf und den behinderungsbedingten Mehrbedarf decken.

Dabei kann – entgegen früherer Rechtsprechung – zusätzlich zu den Leistungen der Eingliederungshilfe und dem Pflegegeld nicht der Pauschbetrag nach § 33b EStG angesetzt werden, da dieser alle behinderungsbedingten laufenden Aufwendungen abgilt und es nicht zulässig ist, für einen Teil dieser Aufwendungen daneben gleichwohl den Einzelnachweis zu führen. Allerdings liegt auf der Hand, dass ein behindertes Kind mit dem Merkmal "H" während des Aufenthalts in dem Haushalt, in dem es lebt, der Betreuung bedarf, weshalb im häuslichen Bereich notwendige Pflegeleistungen anfallen und damit ein Bedarf entsteht, der über die Kosten der teilstationären Unterbringung hinausgeht und der nicht mit dem Grundbetrag abgegolten ist. Dabei ist zu vermuten, dass für die häusliche Pflege mindestens ein Mehrbedarf in Höhe des gezahlten Pflegegeldes entsteht. Da beim Kindergeld Hilfeleistungen der Eltern (hier: der Schwester) ebenso wie deren Unterhaltsleistungen außer Betracht bleiben, ist zu prüfen, ob ein höherer Betrag als das Pflegegeld zu zahlen wäre, wenn die notwendigen häuslichen Pflegeleistungen anstelle der hinwegzudenkenden Leistung der Schwester durch Dritte erbracht würden. Dies hat das FG festzustellen.

 

Praxishinweis

Der BFH räumt ein, dass die aufgezeigte konkrete Ermittlung des behinderungsbedingten Mehrbedarfs aufwendig ist. Er hält es aber aus systematischen Gründen nicht für zulässig, statt dessen den Pauschbetrag des § 33b EStG zusätzlich zu berücksichtigen. Es sei Sache des Gesetzgebers oder der Verwaltung, gegebenenfalls eine solche Teilpauschalierung einzuräumen.

 

Link zur Entscheidung

BFH-Urteil vom 24.8.2004, VIII R 50/03

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