Leitsatz
Erkennt der leibliche Vater eines Kindes in einem Rechtsstreit um die Gewährung eines Kinder- und Haushaltsfreibetrags während des finanzgerichtlichen Verfahrens die Vaterschaft an, nachdem das Kind die Scheinvaterschaft des ehelichen Vaters angefochten hat, hat das FG die zivilrechtlich bis zur Geburt zurückwirkende Vaterschaft bei der Entscheidung über die angefochtenen Einkommensteuerbescheide zu berücksichtigen und die kindbedingten Steuervorteile zu gewähren.
Sachverhalt
Der in den Streitjahren 1994 bis 1998 einzeln veranlagte Kläger lebt seit 1983 mit seiner Lebensgefährtin L und der im August 1984 geborenen gemeinsamen Tochter T in einem Haushalt. Bei der Geburt der T war L noch mit D verheiratet, von dem sie seit Dezember 1985 geschieden ist. Auf die Vaterschaftsanfechtungsklage stellte das Amtsgericht im März 2003 fest, dass D nicht der leibliche Vater von T ist. Darauf erkannte der Kläger mit notarieller Urkunde vom Juni 2003 die Vaterschaft gegenüber T an. Das Finanzamt lehnte es in den zuletzt für die Streitjahre ergangenen Einkommensteuerbescheiden ab, für T einen Kinder- und Haushaltsfreibetrag zu gewähren. Die Klage hatte keinen Erfolg. Auf die Revision hob der BFH das Urteil des FG auf und gab der Klage statt.
Entscheidung
Nach § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG wird ein Kind berücksichtigt, das im ersten Grad mit dem Steuerpflichtigen verwandt ist. Die Vorschrift knüpft an die Regelungen der §§ 1589 und 1592 BGB an. Die rechtskräftige Anfechtung der Vaterschaft des Scheinvaters wirkt auf die Geburt der T zurück. Damit entfällt auch die Vaterschaftsvermutung nach § 1592 Nr. 1 BGB rückwirkend. Entgegen der Auffassung des FG wirkt auch die Anerkennung der Vaterschaft mit notarieller Erklärung vom Juni 2003 rechtsgestaltend auf den Zeitpunkt der Geburt zurück. Sie begründet den Vaterschaftstatbestand des § 1592 Nr. 2 BGB und bestätigt das zwischen dem Kind und seinem Vater von Geburt an bestehende echte Verwandtschaftsverhältnis. Lediglich die Rechtswirkungen können naturgemäß erst nach der Vaterschaftsanerkennung geltend gemacht werden. Die zivilrechtliche Rückwirkung ist steuerlich auch dann zu berücksichtigen, wenn die Vaterschaft erst während des finanzgerichtlichen Verfahrens anerkannt wurde, da das FG auf die Rechtslage bei Ergehen seiner Entscheidung abzustellen hat. Das gilt nicht nur für rückwirkende begünstigende Gesetzesänderungen, sondern auch für nachträglich bekannt werdende, rückwirkende rechtsgestaltende Erklärungen. Dem gemäß war dem Kläger ein Kinderfreibetrag zu gewähren. Der Haushaltsfreibetrag des § 32 Abs. 7 EStG a.F., der an die Berücksichtigung eines Kindes anknüpft, war ebenfalls anzusetzen, da die vom BVerfG für verfassungswidrig erklärte Regelung nach dessen Entscheidung bis einschließlich 2001 weiterhin anzuwenden war.
Praxishinweis
Der BFH wies noch darauf hin, dass seine Auslegung auch mit der verfassungsrechtlichen Funktion des Familienleistungsausgleichs übereinstimmt. Im Streitfall wurde der Unterhalt der T ausschließlich von L und dem Kläger getragen, der nach der rückwirkenden Anfechtung der Vaterschaft des D auch zivilrechtlich zum Unterhalt verpflichtet war. Im übrigen wird nach Abschn. 63.2.1 DAFamEStG auch ein nichteheliches Kind – das T nach Anfechtung der Vaterschaft des Scheinvaters ist – beim leiblichen Vater nach Anerkennung der Vaterschaft rückwirkend als Zählkind berücksichtigt.
Link zur Entscheidung
BFH-Urteil vom 28.7.2005, III R 68/04