Leitsatz (amtlich)
Steht die berufliche Veranlassung eines Umzugs aufgrund einer mindestens einstündigen Fahrzeitverkürzung fest, so treten private Begleitumstände - wie Heiratund erhöhter Wohnbedarf wegen der Geburt eines Kindes - regelmäßig in den Hintergrund.
Sachverhalt
Die Kläger heirateten im September des Streitjahres 1994 und werden zusammen zur ESt veranlagt. Beide erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Anfang November 1994 zogen sie von ihrer bisherigen Wohnung in M (60 qm, zwei Zimmer) in eine Doppelhaushälfte in einem anderen Stadtteil in M um (85 qm, drei Zimmer). Bereits im September 1994 hatte der Arbeitgeber des Klägers seinen Betrieb von L nach G verlegt. Dadurch hatte sich die einfache Fahrtstrecke des Klägers zu seiner Arbeitsstätte vorübergehend von 26 km auf 30 km verlängert. Durch den Umzug verkürzte sich diese Strecke jedoch auf 17 km. Die Fahrtstrecke der Klägerin vergrößerte sich allerdings erheblich. Die Klägerin befand sich jedoch bereits ab Anfang November 1994 wegen der Ende Dezember geborenen Tochter im Mutterschaftsurlaub; danach nahm sie einen dreijährigen Erziehungsurlaub. Für 1994 machten die Kläger Umzugskosten in Höhe von 6 183 DM als Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Das Finanzamt versagte den Abzug. Das FG wies die Klage ab. Auf die Revision hob der BFH die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück.
Entscheidungsgründe
Eine berufliche Veranlassung von Umzugskosten und mithin deren Werbungskosten-Eigenschaft hat der BFH z.B. anerkannt, wenn der Umzug aus Anlass eines Arbeitsplatzwechsels erfolgen musste oder wenn - auch ohne berufliche Veränderung - durch den Umzug der erforderliche Zeitaufwand für den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte wesentlich vermindert worden ist. Als wesentliche Verkürzung der Wegezeit hat er dabei eine Ersparnis von mindestens einer Stunde täglich angesehen. Die Tatsache, dass der Umzug innerhalb einer Großstadt erfolgt ist, steht der Qualifikation der Aufwendungen als Werbungskosten nicht entgegen.
Nach gefestigter Rechtsprechung des Senats ist auf Motive des Steuerpflichtigen für den Umzug in eine bestimmte Wohnung - z.B. größere Mietwohnung oder Einfamilienhaus - dann nicht mehr abzustellen, wenn die berufliche Veranlassung des Umzugs nach objektiven Kriterien eindeutig feststeht; dem ist die Verwaltung gefolgt. Das Abstellen auf eine Fahrzeitersparnis von mindestens einer Stunde zielt einerseits darauf ab, einen solchen Umzug zumindest ähnlich wie einen Umzug anlässlich eines Arbeitsplatzwechsels zu behandeln. Dem liegt dieÜberlegung zugrunde, dass eine in Aussicht stehende, mindestens einstündige Fahrzeitersparnis nach der Lebenserfahrung für viele Arbeitnehmer so bedeutsam ist, dass sie einen Umzug näher an den Arbeitsplatz ernsthaft in Erwägung ziehen. Dem Gesichtspunkt der mindestens einstündigen Fahrzeitersparnis kann deshalb ein solches Gewicht beigemessen werden, dass private Motive - wie hier insbesondere der größere Raumbedarf der Kläger wegen der Geburt des Kindes - im Rahmen des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG generell in den Hintergrund treten. Zum anderen enthält das Erfordernis einer mindestens einstündigen Fahrzeitersparnis eine die Abwicklung von Massenverfahren erleichternde Typisierung. Der damit verbundene Zweck der Vereinfachung und Prakti-kabilität in der Rechtsanwendung wäre beeinträchtigt, wenn private Motive bei einem sonst typischerweise beruflich veranlassten Umzug wieder Bedeutung erlangten. Die Auffassung des Senats vermeidet überdies ein nicht gebotenes Eindringen in die Privatsphäre des Steuerpflichtigen.
Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Sie wird deshalb an das FG zurückverwiesen, damit dieses Feststellungen zur arbeitstäglichen Fahrzeitersparnis des Klägers zu seiner Arbeitsstelle in G trifft. Wegen des zeitgleich mit dem Umzug angetretenen Mutterschaftsurlaubs mit anschließendem Erziehungsurlaub ist die spätere Verlängerung des Wegs zur Arbeitsstätte bei der Klägerin für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht erheblich.
Link zur Entscheidung
BFH vom 23.3.2001 – VI R 189/97