Leitsatz
Die Besteuerung privater Veräußerungsgeschäfte mit Wertpapieren wurde vom BVerfG zumindest für die Jahre 1997 und 1998 wegen eines strukturellen Vollzugsdefizits als verfassungswidrig beurteilt. Für die Jahre ab 1999 entschied nun der BFH, dass ein solches Vollzugsdefizit wegen geänderter verfahrensrechtlicher Rechtsnormen nicht mehr besteht. Er hält das bestehende Besteuerungssystem des § 23 EStG in Verbindung mit den verfahrensrechtlichen Ermittlungsmöglichkeiten der Finanzverwaltung deshalb für verfassungsgemäß.
Sachverhalt
Der Steuerpflichtige hatte im Jahr 1999 einen Gewinn aus einem privaten Veräußerungsgeschäft durch Tausch von Wertpapieren erzielt. Im Klage- und Revisionsverfahren machte er die Verfassungswidrigkeit des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG i.d.F. des Jahres 1999 geltend. Nach seiner Auffassung leide die Vorschrift wie in den Vorjahren und vom BVerfG bestätigt unter einem strukturellen Vollzugsdefizit, das zur Nichtigkeit der Rechtsnorm führe. Das FG Rheinland-Pfalz schloss sich dieser Auffassung im Urteil v. 24.8.2004, EFG 2004 S. 1840, nicht an. Der BFH bestätigte das FG-Urteil und wies die Revision als unbegründet zurück.
Der BFH verneinte ein normatives, gleichheitswidriges Erhebungsdefizit jedenfalls für die Zeit nach Einführung des Kontenabrufverfahrens. Nach seiner Auffassung führe der Kontenabruf nach § 93 Abs. 7 i.V. mit § 93b Abs. 1 AO zu einer Steigerung der Effektivität der bestehenden Ermittlungsmöglichkeiten der Finanzverwaltung. So sei eine umfassende Verifizierung der vom Steuerpflichtigen zu erklärenden Einkünfte aus der Veräußerung von Wertpapieren möglich. Das Finanzamt könne sich nun, ohne auf die Erklärungsbereitschaft des Steuerpflichtigen angewiesen zu sein, einen Überblick über die Konten und Depots verschaffen, was ihm die Möglichkeit zur Durchführung weiterer Ermittlungen, z.B. Einzelauskunftsersuchen an die Kreditinstitute, eröffne.
Zwar gelte das Kontenabrufverfahren erst ab dem 1.4.2005. Es betrifft aber auch Sachverhalte der Vergangenheit, weil z.B. eine Bank nach § 24c KWG auch die Angaben zu einem Depot aufnehmen müsse, das bereits im Jahr 1999 oder vorher eingerichtet worden ist. Da überdies die Festsetzungsfrist bei hinterzogenen Steuern 10 Jahre betrage, könnten die Finanzbehörden insoweit auch für den Veranlagungszeitraum 1999 noch ermitteln. Der BFH wiederholte ausdrücklich, dass die Steuer auf nicht erklärte Veräußerungsgeschäfte regelmäßig als hinterzogen anzusehen ist.
Das Kontenabrufverfahren sei nicht nur zur Verifikation von Veräußerungsgeschäften geeignet. Es sei vielmehr wegen der weiterhin geltenden Regelung über das Bankgeheimnis des § 30a AO auch verfassungsrechtlich notwendig, um das Erklärungsverhalten des Steuerpflichtigen zu überprüfen. Dabei spiele es keine Rolle, dass die Finanzverwaltung bisher nur in wenigen Ausnahmefällen vom Kontenabrufverfahren Gebrauch mache. Die Finanzverwaltung müsse nach einer Anlaufphase die Voraussetzungen für ein rasches Funktionieren des Verfahrens schaffen. Dabei hat der BFH es ausdrücklich offen gelassen, ob und ab wann von einem Vollzugsdefizit auszugehen ist, wenn der Kontenabruf aus wirtschaftspolitischen oder anderen Gründen nicht vollzogen werden sollte.
Hinweis
Die von vielen Steuerzahlern insgeheim erhoffte Vorlage der Rechtsfrage zur Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung privater Wertpapierveräußerungen an das BVerfG hat der BFH unterlassen. Er hat ausdrücklich die nun seit dem Jahr 2005 bestehenden Ermittlungsmöglichkeiten der Finanzverwaltung auch als Teil der Verfikationsmöglichkeiten für die Jahre ab 1999 gewertet und damit die Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung bestätigt. Es ist damit zu rechnen, dass die Finanzverwaltung die insoweit bisher teilweise vorläufig nach § 165 AO ergangenen Steuerfestsetzungen für 1999 bis 2004 für endgültig erklären wird. Daneben hat der BFH aber auch einen klaren Auftrag an die Finanzverwaltung gegeben, zukünftig die Ermittlungsmaßnahmen unter Einsatz des Kontenabrufverfahrens deutlich auszudehnen. Ansonsten schwebe wiederum das Damoklesschwert des Vollzugsdefizits über § 23 EStG. Politischen Vorgaben zur Zurückhaltung wurde von Vornherein eine Absage erteilt. Ob und wie die Finanzverwaltung darauf reagieren wird, bleibt abzuwarten. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass die Finanzämter in Zukunft verstärkt Ermittlungen im Bereich der privaten Kapitalanlage und deren Umschichtung anstellen werden.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil v. 29.11.2005, IX R 49/04. – Zum Kontenabrufverfahren vgl. Gruppe 2 S. 131ff.