Prof. Dr. Bernd Heuermann
Leitsatz
Die Verfassungsmäßigkeit des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG i. d. F. ab 1999 ist nicht zweifelhaft.
Sachverhalt
In einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes musste sich der BFH erneut mit der Frage befassen, ob Gewinne aus privaten Wertpapiergeschäften in den Jahren 1999 und 2000 versteuert werden müssen oder ob die Rechtsgrundlage (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) wegen eines strukturellen Vollzugsdefizits verfassungswidrig ist. Einige Finanzgerichte bejahen diese Frage. Im Streitfall ging es um den Antragsteller A, der Gewinne aus privaten Veräußerungsgeschäften erzielte (und zwar im Jahr 1999 in Höhe von 871.384 DM und im Jahr 2000 solche von 334.248 DM), sie aber nicht zur Einkommensteuer erklärte. Das Finanzamt erfuhr davon erst aufgrund einer Außenprüfung und erfasste die Gewinne. Der Antragsteller machte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Norm wegen gleichheitswidriger Erhebung der auf ihrer Grundlage festgesetzten Einkommensteuer geltend, die der BFH aber nicht teilte.
Entscheidung
Der IX. Senat des BFH bestätigte seine bisherige Rechtsauffassung, dass die Besteuerung ab 1999 verfassungsgemäß sei. Für die Vorjahre 1997 und 1998 hatte das Bundesverfassungsgericht die Norm wegen eines strukturellen Vollzugsdefizits für nichtig erklärt (BVerfG, Beschluss v. 9.3.2004, 2 BvL 17/02, BGBl 2004 I S. 591). Wie der IX. Senat des BFH bereits mit Urteil v. 29.11.2005 (IX R 49/04, BStBl 2006 II S. 178) entschieden hat, gewährleistet das erst nachträglich, aber rückbezüglich eingeführte Kontenabrufverfahren (§ 93 Abs. 7 AO, § 93b AO) eine verbesserte Überprüfung auch für die Jahre ab 1999, sodass nicht mehr von einem strukturellen Vollzugsdefizit ausgegangen werden kann. Das ist kein Widerspruch zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für die Jahre 1997 und 1998, denn ein gleichheitswidriges Erhebungsdefizit führt zu einer Unvereinbarkeit der Norm in der Zeit und kann nachträglich durch Effektuierung des Verfahrensrechts korrigiert werden. Dazu kann es natürlich nur kommen, soweit die Vorschrift noch gilt – und sie gilt, solange sie nicht vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt wird. Das ist für die Jahre 1997 und 1998, nicht aber für die Jahre ab 1999 der Fall gewesen.
Hinweis
Für die Rechtsanwendung sind die Folgerungen für das Erklärungsverhalten des Steuerpflichtigen wichtig: In den Jahren 1997, 1998 gibt es keine (weil für nichtig erklärte) steuerrechtliche Rechtsgrundlage für die Erhebung von Einkünften aus Spekulationsgeschäften über Wertpapiere. Wenn der Steuerpflichtige seine Gewinne nicht erklärt, macht er also keine unrichtigen Angaben. Der Pferdefuß: Da eine Steuernorm nicht existiert, können natürlich auch keine steuerlich erheblichen Verluste entstehen. Können sie nicht entstehen, können sie auch nicht vor- oder zurückgetragen werden. Erleidet ein Steuerpflichtiger im Jahr 1998 Verluste aus Wertpapiergeschäften, im Jahr 1999 aber Gewinne, können Verluste unter keinem denkbaren Gesichtspunkt die Gewinne 1999 mindern – die Verluste sind eben nicht steuerbar. Für die Jahre ab 1999 muss der Steuerpflichtige seine Einkünfte erklären. Einen Verlust im Jahr 1999 kann er nicht nach § 23 Abs. 3 Satz 8 ff. EStG in das Jahr 1998 zurücktragen, weil in diesem Jahr keine steuerbaren Gewinne entstehen können. Es bleibt hier also nur der Vortrag. Wichtig für den Rechtsanwender ist auch, dass der zuständige Strafsenat des BGH dem BFH folgt (vgl. BGH, Urteil v. 9.10.2007, 5 StR 162/07, PStR 2008 S. 1 ff.).
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss v. 19.12.2007, IX B 219/07.