Prof. Dr. Bernd Heuermann
Leitsatz
Die Besteuerung von Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG i.d.F. ab 1999 ist verfassungsgemäß.
Sachverhalt
A erzielte im Jahr 1999 Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften. Er macht gelten, dass ebenso wie in den Jahren 1997 und 1998 ein Vollzugsdefizit bestanden habe.
Entscheidung
Nachdem das BVerfG die Besteuerung privater Spekulationseinkünfte bei Wertpapieren für die Jahre 1997 und 1998 wegen eines strukturellen Vollzugsdefizits als verfassungswidrig beurteilt und § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) EStG 1997 insoweit für nichtig erklärt hatte, musste der BFH die Verfassungsmäßigkeit der Norm in der nun gültigen Fassung ab dem Jahr 1999 prüfen.
Der BFH verneint ein normatives, gleichheitswidriges Erhebungsdefizit jedenfalls nach Einführung des sog. Kontenabrufverfahrens. Nach seiner Auffassung führt der Kontenabruf nach § 93 Abs. 7 i.V.m. § 93b Abs. 1 AO zu einer Effektuierung bestehender Ermittlungsmöglichkeiten und zu einer umfassenden Verifizierung der vom Steuerpflichtigen zu erklärenden Einkünfte aus der Veräußerung von Wertpapieren. Dies hat auch das BVerfG im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erkannt. Zwar gilt das Verfahren erst seit dem 1.4.2005; es betrifft aber auch Sachverhalte der Vergangenheit, weil z.B. eine Bank nach § 24c KWG die Nummer eines Depots aufnehmen muss, das bereits im Jahr 1999 oder vorher errichtet worden ist. Da überdies die Festsetzungsfrist bei hinterzogenen Steuern zehn Jahre beträgt – und die Steuer auf nicht erklärte Veräußerungsgeschäfte ist regelmäßig hinterzogen – können die Finanzbehörden für den Veranlagungszeitraum 1999 noch ermitteln. Sie können direkt Daten aus dem Jahr 1999 abrufen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Steuerpflichtige Veräußerungsgeschäfte nicht deklariert hat. Sie können aber auch aus Anlass spätere Veranlagungsarbeiten dazu gelangen, dass ein Abrufverfahren für 1999 angezeigt ist. So verhält es sich, wenn das Finanzamt z.B. bei der Veranlagung der Einkommensteuer für das Jahr 2004 erfährt, dass der Steuerpflichtige (auch) im Jahr 1999 ein Depot unterhalten, aber keine Erträge erklärt hat. Gegen das Kontenabrufverfahren seinerseits sprechen keine verfassungsrechtlichen Zweifel.
Das Kontenabrufverfahren ist nicht nur zur Verifikation geeignet; es ist wegen der Regelung über das sog. Bankgeheimnis in § 30a AO auch verfassungsrechtlich notwendig, um das Erklärungsverhalten der Steuerpflichtigen zu überprüfen. Die Finanzverwaltung muss nach einer ihr zuzubilligenden Anlaufphase die Voraussetzungen für ein rasches Funktionieren des Verfahrens schaffen. Der BFH hat ausdrücklich offen gelassen, ob und ab wann – trotz der nun gegebenen rechtlichen Strukturen – von einem Vollzugsdefizit auszugehen ist, wenn der Kontenabruf aus wirtschaftspolitischen oder anderen politischen Gründen nicht vollzogen werden sollte.
Praxishinweis
Jeder Rechtsanwender muss wachsam sein, ob und inwieweit das Kontenabrufverfahren in der nächsten Zeit durchgeführt wird. Denn die Verfassungsrechtslage kann wieder "umkippen", wenn die Verwaltung z.B. durch politische Instanzen daran gehindert wird, ihrem Kontrollauftrag zu genügen. Nur zur Klarstellung: Der BFH hat seine Erwägungen nur zum Veranlagungszeitraum 1999 angestellt; sie gelten aber für alle Jahre ab 1999 gleichermaßen.
Link zur Entscheidung
BFH-Urteil vom 29.11.2005, IX R 49/04