Das steht im Urteil
Kursgewinne aus der Veräußerung von Reverse Floatern sind nicht gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG steuerpflichtig. Die Vorschrift ist im Wege teleologischer Reduktion bzw. verfassungskonformer Auslegung tatbestandlich dahin einzugrenzen, dass die Regelung auf solche Wertpapiere keine Anwendung findet, bei denen keine Vermengung zwischen Ertrags- und Vermögensebene besteht und bei denen eine Unterscheidung zwischen Nutzungsentgelt und Kursgewinn ohne größeren Aufwand möglich ist.
Der Hintergrund
Die Entscheidung betrifft die Besteuerung von Kursgewinnen bei der Veräußerung von sog. "Reverse Floatern". Bei Floatern handelt sich um Kapitalanlagen in Form von Schuldverschreibungen mit variablem Zinssatz. Der Zinssatz kann z.B. viertel- oder halbjährlich unter Bezug auf einen Referenzzinssatz des Geldmarkts (im Streitfall: LIBOR = London Interbank Offered Rate) festgelegt werden. – Auch "Reverse Floater" sind variabel verzinsliche Schuldverschreibungen, bei denen aber die Zinsanpassung nicht unmittelbar an einen Referenzzinssatz geknüpft ist, sondern durch Abzug des Referenzzinssatzes von einem festen Nominalzins erfolgt. Die Zinsen werden als "Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art" (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG) besteuert. – Im Streitfall ging es allerdings nicht um die Besteuerung der halbjährlich fällig werdenden Zinsen, sondern der Kursgewinne, die der Steuerzahler bei der Veräußerung der Reverse Floater vor ihrer Endfälligkeit (9.2.2003) im August 1997 erzielt hatte. Diese Gewinne hatte das Finanzamt der Besteuerung unterworfen.
Das Urteil des BFH
Dem ist der BFH nicht gefolgt. Nach seiner Auffassung wird das System der Besteuerung von Einkünften aus Kapitalvermögen von dem Grundsatz beherrscht, dass sich Wertveränderungen der Kapitalanlage auf die Besteuerung der erzielten Erträge im Rahmen des § 20 EStG nicht auswirken und deshalb grundsätzlich nur der Ertrag als Frucht des Kapitals besteuert wird. Dieser Grundsatz gilt auch für die Beurteilung der Kursgewinne aus der Veräußerung der Reverse Floater. Zwar ware der Kursgewinn – also der Unterschied zwischen dem Entgelt für den Erwerb der Reverse Floater und den Einnahmen aus der Veräußerung der Papiere – nach dem Wortlaut des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG i.d.F. des StÄndG 2001 als Kapitalertrag zu erfassen. Dieses Ergebnis ist aber nach Auffassung des BFH mit dem Sinn und Zweck des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG nicht vereinbar. Denn die dort getroffene Regelung, wonach Einnahmen aus der Veräußerung oder Abtretung von sonstigen Kapitalforderungen zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören, "soweit sie der rechnerisch auf die Besitzzeit entfallenden Emissionsrendite entsprechen", ist nach Ansicht des BFH so zu verstehen, dass Wertpapiere ohne eine von vornherein bezifferbare Emissionsrendite – und somit auch Reverse Floater – nicht unter den gesetzlichen Tatbestand fallen. Die Ermittlung der rechnerisch auf die Besitzzeit entfallenden Emissionsrendite setze das Vorliegen einer Emissionsrendite im gesetzlichen Sinne voraus. Fehle sie, so sei ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestands nicht erfüllt.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil v. 20.11.2006, VIII R 97/02