Der Bürger ist der Dumme
Der Umfang der winterlichen Streu- und Räumpflichten führt in Schadensfällen immer wieder zu gerichtlichen Auseinandersetzungen. Probleme bereitet gelegentlich auch die Grenze der Winterdienstpflicht bei deren satzungsmäßiger Übertragung auf den Anlieger. Kann eine solche Ortssatzung von dem Bürger mehr fordern als das, was die Gemeinde an Verkehrssicherungspflicht selbst zu leisten hätte? Der Bundesgerichtshof (BGH) sagt nein, und zwar in folgendem Fall:
Einzelne Glatteisfläche
Eine Arbeitnehmerin war an einem Januarmorgen auf dem Gehweg des innerstädtisch gelegenen Hausgrundstücks der Beklagten gestürzt und hatte sich ein Handgelenk gebrochen. Der Sturz ereignete sich auf einer 1 × 1 m großen Glatteisfläche. Der übrige Gehwegbereich war trocken und geräumt. Ihre Arbeitgeberin nahm die Beklagten als Gesamtschuldner aus übergegangenem Recht auf Schadensersatz wegen Verdienstausfalls in Anspruch. Die Klage hatte in der Berufungsinstanz Erfolg. Doch der BGH "kassierte" die Entscheidung.
Anlieger haftet
Zunächst stellt das Gericht klar: Der Anlieger handelt im Fall der satzungsmäßigen Übertragung der Winterdienstpflicht nicht als "Werkzeug" oder "Verwaltungshelfer" für die nach Straßenrecht eigentlich verpflichtete Kommune. Daher tritt eine Haftungsüberleitung über § 839 Abs. 1 BGB, Art. 34 GG nicht ein. Vielmehr haftet der Anlieger selbst nach allgemeinem Deliktsrecht (§ 823 Abs. 1, § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. der Satzung als Schutznorm).
Grenzen der Satzung
Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht wegen Verstoßes gegen winterliche Räum- und Streupflichten setzt entweder das Vorliegen einer allgemeinen Glätte voraus oder das Vorliegen von erkennbaren Anhaltspunkten für eine ernsthaft drohende Gefahr aufgrund vereinzelter Glättestellen. Hier lag, tatbestandlich festgestellt, jedoch nur eine einzelne Glättestelle vor. Zwar setzt die Satzung nach ihrem Wortlaut eine "allgemeine Glätte" nicht voraus. Doch muss eine Gemeindesatzung über den Straßenreinigungs- und Winterdienst nach dem Grundsatz gesetzeskonformer Auslegung regelmäßig so verstanden werden, dass keine Leistungspflichten begründet werden, die über die Grenze der allgemeinen Verkehrssicherungspflichten hinausgehen.
Fazit: Unsicherheit bleibt
Die konkreten Vorgaben in Satzungen hinsichtlich Ort, Zeit und einzusetzende Mittel müssen ausgelegt und auf die "Grenzen der allgemeinen Verkehrssicherungspflichten" zurückgeführt werden. Damit verbleibt eine gewisse Unsicherheit hinsichtlich der einzuhaltenden Winterdienstpflichten.
(BGH, Urteil v. 14.2.2017, VI ZR 254/16, MDR 2017 S. 454, dazu Itzel, jurisPR-BGHZivilR 7/2017 Anm. 4)