Problem für Gläubiger
Es bleibt dabei: Der Zuschlagsbeschluss liegt für den Ersteher in weiter Ferne, wenn der Schuldner das Objekt noch bewohnt und aus gesundheitlichen Gründen oder altersbedingt auch nicht zu verlassen gedenkt. Es droht eine endlos lange Verfahrenseinstellung, wie eine neue Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) zeigt.
"Härtefall"?
"Knackpunkt" ist in diesen Fällen stets der Vollstreckungsschutzantrag nach § 765a ZPO. Einen solchen Antrag hatte die 85-jährige Schuldnerin gestellt, gestützt auf eine schwerwiegende gesundheitliche Beeinträchtigung im Falle des Zuschlags ihrer selbst bewohnten Immobilie an den Ersteigerer. Nach den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen leidet die Schuldnerin an Gesundheitsstörungen, die zu dissoziativen Zuständen bis hin zu einem dissoziativen Stupor führen können, einem Verlust der Kontrollfähigkeit der Körperbewegungen mit der Gefahr unkontrollierter Stürze und schwerer Selbstverletzungen. Der Eintritt der Rechtskraft des Zuschlagsbeschlusses führe nicht zu einer Verstärkung der Erkrankung, würde aber mit hoher Wahrscheinlichkeit dissoziative Zustände auslösen, die allerdings auch sonst jederzeit auftreten können.
Das Vollstreckungsgericht und das Landgericht lehnten eine Einstellung der Zwangsversteigerung ab, da sich die Störungen nicht behandeln ließen und die Gläubigerin keine Aussicht habe, durch die bereits laufende Zwangsverwaltung innerhalb eines zumutbaren Zeitraums Befriedigung ihrer Forderungen zu erlangen. Demgegenüber sieht der BGH einen Härtefall prinzipiell als möglich an, moniert hingegen die mangelnde Sachverhaltsaufklärung sowohl zur Annahme eines Härtefalls als auch zur Abwägung mit den Schutzbedürfnissen des Gläubigers. Er verwies die Sache daher zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurück.
Lebensgefahr
Der BGH stellt klar: Eine bei der Abwägung nach § 765a ZPO zu berücksichtigende mit den guten Sitten unvereinbare Härte liegt auch vor, wenn der Schuldner an einer Erkrankung leidet und die Fortsetzung des Zwangsversteigerungsverfahrens eine Verschlechterung seines Gesundheitszustands und als deren Folge eine Gefahr für sein Leben oder schwerwiegende gesundheitliche Risiken erwarten lässt. Dass eine solche Verschlechterung des Gesundheitszustands auch durch andere Umstände ausgelöst werden könnte, ändert nichts daran.
Umfassende Aufklärung fehlt
Allerdings stellt das Gericht wegen des erheblichen Eingriffs in die Grundrechte des Gläubigers in tatsächlicher Hinsicht strenge Anforderungen an die Annahme eines Härtefalls. Erforderlich ist eine umfassende Aufklärung sämtlicher therapeutisch möglichen Maßnahmen, um eine Gesundheitsgefährdung der Schuldnerin auszuschließen und auf diesem Wege dem Vollstreckungsinteresse des Gläubigers Rechnung tragen zu können. Freilich haben sich sowohl das Landgericht als auch der BGH für ihre Entscheidung mehr als ein Jahr Zeit gelassen…
(BGH, Beschluss v. 13.10.2016, V ZB 138/15, NZM 2017 S. 51, dazu Stamm, LMK 2017, 385016)