Leitsatz
- Eine Inhaftungnahme des nominell bestellten Geschäftsführers für die Steuerschulden der GmbH ist auch dann von der Finanzbehörde in Betracht zu ziehen, wenn dieser lediglich als "Strohmann" eingesetzt worden ist.
- Die Vorschrift des § 102 Satz 2 FGO i.d.F. des StÄndG 2001 gestattet es der Finanzbehörde nur, bereits an- oder dargestellte Ermessenserwägungen zu vertiefen, zu verbreitern oder zu verdeutlichen. Nicht dagegen ist sie befugt, Ermessenserwägungen im finanzgerichtlichen Verfahren erstmals anzustellen, die Ermessensgründe auszuwechseln oder vollständig nachzuholen.
- Wird statt des Strohmann-Geschäftsführers der faktische Geschäftsführer einer GmbH auf Haftung in Anspruch genommen, so muss diese Auswahlentscheidung im Haftungsbescheid eigens begründet werden; allein die Bezeichnung des nominellen Geschäftsführers als "Strohmann" lässt nicht erkennen, dass Auswahlermessen ausgeübt worden ist.
Sachverhalt
Eine GmbH war wegen Vermögenslosigkeit gelöscht worden, ohne ihre Lohnsteuerschulden bezahlt zu haben. Deswegen nahm das Finanzamt zwei Personen in Haftung, denen es meinte nachweisen zu können, faktisch die Geschäfte der GmbH geführt zu haben; der eingetragene Geschäftsführer sei nur ein Strohmann gewesen.
Entscheidung
Der BFH hat den Haftungsbescheid wegen Ermessensmängeln aufgehoben. Auch der Strohmann-Geschäftsführer haftet als Gesamtschuldner neben dem faktischen Geschäftsführer. Deshalb musste das Finanzamt erwägen, gegebenenfalls auch ihn in Anspruch zu nehmen. Dass dies geschehen war, war dem Haftungsbescheid aber nicht zu entnehmen. Dieser war unzureichend begründet. Mit der Bezeichnung "Strohmann" war nicht deutlich gemacht, dass das Auswahlermessen ausgeübt wurde. Dieser Mangel des Haftungsbescheids hatte nicht gemäß § 102 Satz 2 FGO dadurch geheilt werden können, dass das Finanzamt vor dem FG erklärt hat, der Strohmann solle nicht in Anspruch genommen werden. Denn dabei handelte es sich nicht um eine zulässige "Ergänzung" der Ermessenserwägungen, sondern um eine erstmalige Ermessensbetätigung. Auch § 126 Abs. 1 Nr. 2 AO gestattet ein solches Nachschieben der Ermessenserwägungen nicht.
Praxishinweis
- Die Haftungsinanspruchnahme steht im Ermessen des Finanzamts, dem das Entschließungsermessen – Geltendmachung der Haftungsschuld – und das Auswahlermessen – Auswahl der Haftenden – obliegt. Grundsätzlich haften alle eingetragenen Geschäftsführer, ungeachtet dessen, ob und gegebenenfalls in welchen Bereichen sie tatsächlich die Geschäftsführung ausgeübt haben, sowie diejenigen, die tatsächlich die Geschäftsführung wahrgenommen haben. An die Beschränkung der Verantwortung eingetragener Geschäftsführer stellt der BFH strenge Anforderungen. Die Auswahlentscheidung des Finanzamts bedarf in der Regel einer sorgfältigen Begründung, in der nach Ansicht des BFH auch Strohmänner zu berücksichtigen sind. Die Auswahl unter mehreren Haftungsschuldnern bedarf aber dann keiner näheren Begründung, wenn die Auswahlentscheidung durch die Umstände "vorgeprägt" ist, z.B. die anderen Haftungsschuldner zahlungsunfähig oder nicht greifbar sind oder wenn nur einem von ihnen Vorsatz zur Last fällt.
- Die Begründung einer Ermessensentscheidung und die Ermessensausübung selbst hängen eng zusammen, da über die Ermessenserwägungen im Allgemeinen nur die Begründung der Behörde Aufschluss geben kann. Trotzdem sind beide zu unterscheiden. Die Begründung kann nach § 126 Abs. 2 AO spätestens in der Einspruchsentscheidung nachgeholt werden. Eine Nachholung der Ermessensausübung erst nach Klageerhebung ist an sich undenkbar, weil Gegenstand der Anfechtungsklage bei einer Ermessensentscheidung gerade die von der Behörde im Verwaltungsverfahren getroffene Entscheidung ist. Gleichwohl lässt § 102 Satz 2 FGO eine "Ergänzung" der Ermessenserwägungen im Klageverfahren ausdrücklich zu. "Ersetzung" oder "Nachholung" der Ermessensausübung sind aber unzulässig.
Link zur Entscheidung
BFH-Urteil vom 11.3.2004, VII R 52/02