Thomas Schlüter, Mirjam Luserke
Rz. 199
Da sich die Gerichte erfahrungsgemäß eher weniger gerne mit den inhaltlichen Fragen eines Ausschlusses beschäftigen, wie z. B. der Frage, ob der vorgetragene Ausschlussgrund auch wirklich vorliegt oder gravierend genug ist, den Ausschluss begründen zu können, sondern ein Ausschlussverfahren viel lieber an den Formalien scheitern lassen, muss unbedingt darauf geachtet werden, hier keinen Aspekt zu versäumen.
Vorherige Anhörung
Rz. 200
Wichtig ist, dass das betroffene Genossenschaftsmitglied vor der Fassung des Ausschließungsbeschlusses vom zuständigen Organ angehört wird. Dies gebietet schon der allgemeingültige rechtsstaatliche "Grundsatz des fairen Verfahrens". Allgemein nimmt man hierzu sogar an, dass die Pflicht zur vorherigen Anhörung im genossenschaftlichen Treuegebot verankert ist. Die Anhörung bewirkt auch, dass sich die eG Gewissheit darüber verschaffen kann, ob
- der angenommene Ausschlussgrund auch tatsächlich gegeben ist,
- sich vielleicht noch andere Aspekte im Fall zeigen, die der Entlastung des Mitglieds dienen, bzw.
- das betroffene Mitglied vielleicht sein Bedauern über die Vorfälle zum Ausdruck bringt, verbunden mit der Versicherung, dass sich dies zukünftig nicht mehr ereignen wird.
Auch in der sich möglicherweise anschließenden gerichtlichen Auseinandersetzung stellt sich die eG mit der Durchführung einer vorherigen Anhörung als "verständige Genossenschaft", die sich fair verhalten möchte, dar, was der "Stimmung" beim Verhandlungstermin sicherlich dienlich ist. Daher wird in vielen Satzungen ein Anhörungsverfahren zu Recht ausdrücklich vorgeschrieben (§ 11 Abs. 2 Satz 2 MS).
Rz. 201
Die Anhörung muss nicht zwingend mündlich erfolgen. Sie kann, soweit keine anders lautende Regelung in der Satzung vorhanden ist, auch schriftlich durchgeführt werden. Die eG sollte dem Mitglied die beiden Möglichkeiten zur Wahl stellen. Dies kommt durch eine Satzungsregelung zum Ausdruck, wonach dem betroffenen Mitglied vor Beschlussfassung über die Ausschließung die Möglichkeit zu geben ist, sich zu dem Ausschluss "zu äußern", ohne dass die Form festgelegt wird (§ 11 Abs. 2 Satz 2 MS). Die ergänzende Aufforderung zur schriftlichen Stellungnahme empfiehlt sich beispielsweise bei Mitgliedern, die den persönlichen Kontakt verweigern oder inzwischen an einem entfernten Ort wohnen. Wichtig ist hierbei nur, dass sich das auszuschließende Genossenschaftsmitglied zu den vorgebrachten Ausschließungsgründen detailliert äußern kann. Hierzu muss die eG im Rahmen der Anhörung die Vorwürfe genau benennen, damit sich das Mitglied dagegen verteidigen kann. Falls sich der Anzuhörende trotz Angebots einer Stellungnahme weigert, Position zu beziehen, kann dies der eG nicht zum Nachteil gereichen. Äußert er sich jedoch, dann muss sich die eG (im Regelfall vertreten durch den Vorstand) vor Herbeiführung des Ausschließungsbeschlusses mit den Ausführungen des Mitglieds beschäftigen und dies im Beschluss auch zu erkennen geben. Muss der Ausschließungsbeschluss in der Generalversammlung gefasst werden, dann besteht natürlich dort ein Rederecht des Betroffenen. Die eG kann dem Mitglied für seine Entgegnung und die Wahl der Anhörungsform eine Frist bestimmen, die allerdings angemessen sein sollte.
Rz. 202
Vorherige Abmahnung
Das Genossenschaftsgesetz regelt das Erfordernis einer vorherigen Abmahnung nicht. In der Satzung kann aber im Rahmen der Ausschlussgründe ein Abmahnungserfordernis festgelegt werden.
Die Vorauflage der Mustersatzung für Wohnungsgenossenschaften formulierte bis zu ihrer Änderung im Jahr 2018 beispielsweise in einer Ausschlussfallgruppe Buchst. bb "wenn es (das Mitglied) trotz schriftlicher Aufforderung unter Androhung des Ausschlusses den satzungsmäßigen oder sonstigen Verpflichtungen nicht nachkommt". In einer weiteren Fallgruppe Buchst. aa waren die Fälle geregelt, in denen eine Abmahnung schon aus logischen Gründen entfiel, etwa weil es um unverschuldetes oder sonst nicht steuerbares Verhalten gegangen ist.
In der Praxis empfiehlt es sich, lieber eine Abmahnung zu viel als zu wenig auszusprechen, weil die Gerichte aufgrund der gravierenden Rechtsfolgen eines Ausschlusses für das Mitglied großen Wert auf die vorherige Abmahnung legen.
Instanzgerichte haben in der Vergangenheit – bezogen auf die frühere Regelung in der Mustersatzung – zu Lasten der ausschließenden eG moniert, dass diese sich beim Ausschluss des Mitglieds auf die Fallgruppe Buchst. aa bezogen hatte; diese Fallgruppe hatte ja gerade auf das Abmahnerfordernis verzichtet, weil bei unverschuldeten Pflichtverstößen eine Abmahnung sinnlos ist. Die Berufung auf die Fallgruppe Buchst. aa wurde als Umgehung des Abmahnungserfordernisses gewertet (siehe Beispiel bei Rn. 196).
Leider war es sehr schwer, in der Argumentation bei den Gerichten mit der Unterscheidung der beiden Ausschlussfallgruppen Buchst. aa und bb durchzudringen und Verständnis für die sachlichen Unterschiede zu finden. Mit der Neugestaltung der Ausschlussgründe in § 11 Abs. 1 MS-2018 so...