Thomas Schlüter, Mirjam Luserke
Rz. 284
Fallbeispiel: Kündigung des Nutzungsverhältnisses nach Beendigung der Mitgliedschaft
Genossenschaftsrechtliche Nutzungsverhältnisse (und deren besondere Behandlung) stehen in besonderem Zusammenhang mit der Beendigung der Mitgliedschaft. Wegweisend für die Beurteilung ist ein Urteil des BGH. In dem zugrunde liegenden Sachverhalt war ein Mitglied, das zudem Vertreter war, aufgrund von massiven Zerwürfnissen mit dem Vorstand aus der Genossenschaft ausgeschlossen worden. Nach Wirksamwerden des Ausschlusses kündigte die Genossenschaft die vom Mitglied bewohnte Wohnung und berief sich dabei als Kündigungsgrund auf die nicht mehr bestehende Mitgliedschaft. Die Nutzung einer Genossenschaftswohnung war sowohl durch die Satzung als auch nutzungsvertraglich an eine Mitgliedschaft gebunden. Nichtmitgliedergeschäfte waren satzungsmäßig ausgeschlossen.
Der BGH ließ die Kündigung unter bestimmten Voraussetzungen zu, stellte dabei jedoch die Besonderheiten des genossenschaftlichen Nutzungsverhältnisses in Bezug auf die Vermieterseite heraus.
Ausgangspunkt der rechtlichen Bewertung bildete die Frage, ob ein berechtigtes Interesse an einer Kündigung durch die Genossenschaft nach den mietrechtlichen Regelungen des § 573 BGB auch im Fall der Beendigung der Mitgliedschaft zu bejahen ist.
Nach mietrechtlichen Gesichtspunkten könnte der Gedanke naheliegen, dies abzulehnen. Nach der besonders schützenswerten Bedeutung des Wohnraums für den Mieter als Lebensmittelpunkt muss ein erhebliches Interesse des Vermieters an einer durchsetzbaren Kündigung gegeben sein. Die Beendigung der Mitgliedschaft in einer gesellschaftsrechtlich organisierten Einheit wie einer Genossenschaft könnte demnach für einen Kündigungsgrund des Vermieters nach mietrechtlicher Wertung nicht ausreichen. Denn die rechtlichen und sozialen Folgen einer Mitgliedschaftsbeendigung lassen sich nicht den beispielhaft aufgezählten gesetzlichen Gründen für eine Beendigung des Mietverhältnisses durch Kündigung – wie Pflichtverletzung, Eigenbedarf oder wirtschaftliche Verwertung – gleichstellen.
Rz. 285
Allerdings muss hier das genossenschaftliche Nutzungsverhältnis von einem gewöhnlichen Mietverhältnis abgegrenzt werden. Sein besonderer Charakter gibt dem Ganzen dadurch eine außerordentliche Prägung, dass eine besondere Bindung zwischen der Genossenschaft und dem Mitglied durch die Satzung und dem gegenseitigen Treuegebot gegeben ist. Diese – so der BGH – wird gebildet durch
- die körperschaftliche Bindung zwischen der Genossenschaft und ihren Mitgliedern,
- den gemeinsamen, durch die Satzung festgelegten wirtschaftlichen Zweck des Zusammenschlusses sowie
- die sich daraus ergebenden beiderseitigen Treuepflichten.
Das Mitglied ist also nicht nur Teil einer Organisationsstruktur, sondern persönlich verwobener Teil einer genossenschaftlichen Gemeinschaft. Die Wohnungen einer Genossenschaft wurden grundsätzlich generationsübergreifend nur für die Mitglieder errichtet. Es werden nicht Einzelinteressen verwirklicht, sondern die Verwirklichung stützt sich auf das gemeinsame Zielkonstrukt eines solidarischen Miteinanders.
Der Aspekt der Nachhaltigkeit im Hinblick auf die Schaffung und Erhaltung eines Lebensmittelpunkts darf in der Tradition einer Wohnungsgenossenschaft auch bei der Frage der Kündigung bzw. Beendigung des Nutzungsverhältnisses nicht unberücksichtigt bleiben.
Durch diese, an die Mitgliedschaft in der Genossenschaft gebundene Rechtstellung ist es gerechtfertigt, so der BGH, das Erlöschen der Mitgliedschaft durch freiwilligen Austritt oder durch einen gerechtfertigten Ausschluss grundsätzlich als eine Voraussetzung für die Geltendmachung eines berechtigten Interesses der Vermieterin an der Beendigung des Dauerschuldverhältnisses (Dauernutzungsverhältnisses) anzuerkennen.
Für eine Berechtigung zur Kündigung legte der BGH folgende Bedingungen fest:
- Der Nutzer muss durch sein Verhalten den Grund für eine Beendigung der Mitgliedschaft durch die Genossenschaft gelegt haben. Erfolgt die Beendigung der Mitgliedschaft freiwillig durch das Mitglied oder durch Ausschluss aus der Genossenschaft, dem ein Fehlverhalten des Mitglieds vorausging, so liegt dies im Selbstverantwortungsbereich des Nutzers. Er zeigt dadurch eine gewisse Risikobereitschaft, seinen mietrechtlich grundsätzlich geschützten Lebensmittelpunkt aufzugeben, und ist daher nicht mehr in vollem Umfang schützenswert. Das ausscheidende Mitglied ist im Fall des Ausschlusses durch die Genossenschaft auch vor einer willkürlichen Kündigung durch die strikte Regelung des Ausschlussverfahrens in § 68 GenG bzw. der Satzung ausreichend geschützt.
- Ferner müssten durch das Aufrechterhalten des Mietverhältnisses mit dem ausgeschlossenen Mitglied andere Mitglieder bzw. potenzielle Mitglieder der Genossenschaft bezüglich der Wohnraumversorgung satzungswidrig benachteiligt werden. Die mietrechtlich erzwungene Fortsetzung eines Mietverhältnisses mit einem Nichtmitglied würde regelmäßig zu einer satzungswidrigen Benachteiligung eines M...