Leitsatz (amtlich)

Ein Disagio ist seit der Rechtsprechungsänderung des BGH im Jahr 1990 in der Regel nicht mehr als Entgelt für einmaligen Verwaltungsaufwand bei der Kreditbeschaffung und -gewährung, sondern als laufzeitabhängiger Ausgleich für einen niedrigeren Normalzinssatz und damit als Vorauszahlung eines Teils der Zinsen anzusehen. Als laufzeitabhängige Aufwendung kann das Disagio nur als Vorkosten nach § 10e Abs. 6 EStG abgezogen werden, soweit es wirtschaftlich auf die Zeit vor Bezug entfällt (Fortführung des Senatsurteils vom 8.6.1994, X R 26/92, BStBl II 1994, S. 930 = INF 1994, S. 697).

 

Sachverhalt

Am 13.12.1990 schlossen die Kläger (zusammen veranlagte Eheleute) einen Kaufvertrag über eine Doppelhaushälfte. Zur Finanzierung des Kaufpreises hatten sie im September 1990 zwei Festdarlehen über 105 000 DM und 150 000 DM vereinbart, die zu 90,5 % des Nennbetrages ausgezahlt werden sollten. Die Bank war berechtigt, das jeweilige Disagio bei der ersten Teilauszahlung einzubehalten. Die Darlehen waren mit einem für 5 Jahre festen Zinssatz von 7,5 % bzw. 7 % zu verzinsen. Im Dezember 1990 und im Januar 1991 riefen die Kläger wegen der angefallenen Notar- und Renovierungskosten Teilbeträge in Höhe von insgesamt 24 800 DM von beiden Festdarlehen ab. Die Darlehenskonten wurden im Dezember 1990 mit den vollen Disagien von 9 975 DM und 14 250 DM zuzüglich Zinsen von 12,04 DM und 12,69 DM belastet. Im April 1991 zogen die Kläger in das Haus ein. Den Kaufpreis bezahlten sie am 10.6.1991. In ihrer ESt-Erklärung für das Streitjahr 1990 machten sie Erhaltungsaufwendungen, die Disagien und die Zinsen als Vorkosten nach § 10e Abs. 6 EStG geltend. Das Finanzamt ließ die Disagien lediglich anteilig in Höhe von 2 356 DM zum Abzug zu, nämlich soweit diese auf die Teilvalutierung in Höhe von 24 800 DM im Dezember 1990 und Januar 1991 entfielen. Klage[1] und Revision der Kläger blieben erfolglos.

 

Entscheidungsgründe

Der Abzug von Aufwendungen als Vorkosten nach § 10e Abs. 6 EStG setzt u.a. voraus, dass die Aufwendungen vor Beginn der erstmaligen Nutzung der Wohnung zu eigenen Wohnzwecken entstanden sind. Dies trifft zu, wenn die Aufwendungen wirtschaftlich dem Zeitraum vor Bezug der Wohnung zuzuordnen sind[2]. Laufzeitbezogene Finanzierungskosten sind daher aufzuteilen und - unabhängig vom Zeitpunkt der Zahlung - als Vorkosten zu berücksichtigen, soweit sie auf die Zeit vor Bezug der Wohnung entfallen. Nicht laufzeitbezogener Kreditaufwand ist wirtschaftlich dem Zeitraum zuzuordnen, in dem er geleistet worden ist[3].

Seit der BGH seine Auffassung zur Rechtsnatur des Disagios im Jahr 1990 geändert hat, hat das Disagio seine Funktion als Abgeltung des einmaligen Verwaltungsaufwandes bei der Kreditbeschaffung und -gewährung weitgehend verloren und dient in der Bankpraxis nur noch als Rechenfaktor für die Zinsbemessung während des Zinsfestschreibungszeitraums. Es ist im Zweifel als laufzeitabhängiger Ausgleich für einen niedrigeren Nominalzinssatz und damit als Vorauszahlung eines Teils der Zinsen anzusehen. Bei vorzeitiger Vertragsbeendigung kann es daher i.d.R. vom Darlehensnehmer nach § 812 BGB anteilig zurückverlangt werden[4]. Die in der Praxis gewandelte Funktion des Disagios beeinflusst auch dessen einkommensteuerrechtliche Behandlung. Als Zinsvorauszahlung und damit laufzeitabhängige Aufwendung kann das Disagio nur insoweit als Vorkosten abgezogen werden, als es wirtschaftlich auf die Zeit vor Bezug entfällt.

Ein Anspruch der Kläger auf den vollen Abzug der Disagien ergibt sich auch nicht aus Rz. 92 des BMF-Schreibens vom 31.12.1994[5]. Der Senat kann offenlassen, ob es sich hierbei um eine norminterpretierende Verwaltungsanweisung handelt, an welche die Steuergerichte grundsätzlich nicht gebunden sind[6], oder um eine durch die Rechtsprechungsänderung zur Behandlung des Disagios veranlasste, zur Selbstbindung der Verwaltung führende Billigkeitsregelung, auf deren Anwendung der Steuerpflichtige einen Rechtsanspruch hat[7]. Auch wenn es sich um eine von den Steuergerichten zu beachtende Billigkeitsregelung handelte, könnte die Revision keinen Erfolg haben. Ein klagbarer Anspruch des Steuerpflichtigen auf Besteuerung nach Maßgabe der Verwaltungsanweisung besteht nur in den Fällen, die offensichtlich von der Verwaltungsanweisung gedeckt sind. Die in der Verwaltungsanweisung geforderten Voraussetzungen für den Abzug der Disagien als Vorkosten sind jedoch im Streitfall nicht erfüllt. Nach Rz. 92 Sätze 2 und 3 des BMF-Schreibens vom 31.12.1994[8] ist bei vertragsgemäßer Entrichtung des Damnums vor Auszahlung des Darlehens der Entrichtungszeitpunkt nur dann maßgebend, "wenn die Vorausleistung des Damnums wirtschaftlich sinnvoll ist". Einen wirtschaftlich sinnvollen Grund erkennt die Finanzverwaltung im Anschluss an die Rechtsprechung des BFH nur an, wenn das "Damnum nicht mehr als drei Monate vor Auszahlung der Darlehensvaluta oder einer ins Gewicht fallenden Teilauszahlung des Darlehens geleistet worden" ist. Im Streitfall sind...

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