Dipl.-Finw. (FH) Walter Niermann
Leitsatz
Unterhält ein unverheirateter Arbeitnehmer am Ort des Lebensmittelpunkts seinen Haupthausstand, so kommt es für das Vorliegen einer doppelten Haushaltsführung nicht darauf an, ob die ihm dort zur ausschließlichen Nutzung zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten den bewertungsrechtlichen Anforderungen an eine Wohnung gerecht werden.
Problematik
Es geht um die Frage, ob die dem Arbeitnehmer am Mittelpunkt seiner Lebensinteressen zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten den bewertungsrechtlichen Anforderungen an eine Wohnung gerecht werden müssen, um einen eigenen Hausstand i.S. einer doppelten Haushaltsführung zu führen.
Entscheidung des BFH
Ein nicht verheirateter Arbeitnehmer lebte seit Abschluss seiner Berufsausbildung in einem Anwesen seiner Eltern, das aus zwei verbundenen älteren Häusern besteht. Er bewohnte nach Aufnahme einer auswärtigen Berufstätigkeit in einem der Häuser weiterhin ein Wohn- und Schlafzimmer sowie eine Küche im Obergeschoss, die zur Treppe abgeschlossen waren. Im Erdgeschoss desselben Hauses wohnte die Schwester des Klägers. Beiden gemeinsam stand eine vom Treppenhaus her zugängliche Sanitäreinheit zur Verfügung. Das angrenzende Gebäude nutzten die Eltern. Der BFH erkannte die vom Steuerpflichtigen genutzte Wohnung im Anwesen der Eltern als eigenen Hausstand i.S. einer doppelten Haushaltsführung an, obwohl er sich die Sanitäreinrichtung mit seiner Schwester teilen musste. Entscheidend war nach Meinung der Richter, dass die von den Eltern überlassenen Räumlichkeiten eine eigenständige Haushaltsführung ermöglichten.
Anders als das Finanzamt stellte das Gericht hingegen nicht darauf ab, ob die dem Arbeitnehmer zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten den bewertungsrechtlichen Anforderungen an eine Wohnung gerecht wurden. Auch der Tatsache, dass die Wohnverhältnisse des Steuerpflichtigen am Ort seines Lebensmittelpunkts vergleichsweise einfach oder beengt waren, maß der BFH keine entscheidende Bedeutung zu.
Konsequenzen für die Praxis
Seit 1.1.2004 liegt eine beruflich veranlasste doppelte Haushaltsführung nur vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Orts, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt. Arbeitnehmer ohne eigenen Hausstand außerhalb des Beschäftigungsorts erfüllen die Voraussetzungen für eine doppelte Haushaltsführung seit 1.1.2004 somit nicht mehr. Die über den entschiedenen Fall weit hinausgehende Bedeutung des vorliegenden Urteils liegt darin, dass der BFH – entgegen der von der Finanzverwaltung bisher vertretenen Auffassung – einen eigenen Hausstand des Arbeitnehmers am Mittelpunkt der Lebensinteressen auch dann anerkennt, wenn dieser den bewertungsrechtlichen Anforderungen an eine Wohnung nicht gerecht wird und die Wohnverhältnisse des Steuerpflichtigen am Ort seines Lebensmittelpunkts vergleichsweise einfach und beengt sind. Man darf gespannt sein, ob sich die Finanzverwaltung der großzügigen Sichtweise des BFH anschließt. Betroffene sind jedenfalls gut beraten, sich in vergleichbaren Fällen auf die vorliegende Entscheidung zu berufen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil v. 14.10.2004, VI R 82/02, BFH/NV 2005 S. 133