Leitsatz
Verzichtet der zum Barunterhalt verpflichtete Elternteil durch gerichtlichen oder außergerichtlichen Vergleich auf die Anrechnung des hälftigen Kindergelds auf den Kindesunterhalt, ist sein zivilrechtlicher Ausgleichsanspruch gleichwohl in die Vergleichsrechnung des § 31 Sätze 4 und 5 EStG einzubeziehen.
Sachverhalt
Aus der im Jahr 1984 geschiedenen Ehe ist eine 1979 geborene Tochter hervorgegangen, die im Streitjahr 1996 bei der Mutter lebte. Im Vergleich vor dem Familiengericht verpflichtete sich Vater V zu monatlichem Unterhalt nach der Düsseldorfer Tabelle (damals 228 DM), wobei das Kindergeld der Mutter anrechnungsfrei zustehen sollte. In späteren gerichtlichen Vergleichen wurde der Unterhalt auf 475 DM bzw. 480 DM erhöht, wobei die Mutter das Kindergeld weiterhin ungekürzt behalten dürfe. Bei der Einkommensteuer-Veranlagung des V berücksichtigte das Finanzamt keinen Kinderfreibetrag, weil der Ausgleichsanspruch, der dem zum Barunterhalt verpflichteten Elternteil nach § 1615g BGB zustehe, günstiger sei. Das gelte auch, wenn der Ausgleichsanspruch tatsächlich nicht geltend gemacht werde. Klage und Revision des V hatten keinen Erfolg.
Entscheidung
Seit 1996 wird der Familienleistungsausgleich nicht mehr kumulativ durch Kindergeld und Kinderfreibetrag bewirkt, sondern alternativ, wobei der Kinderfreibetrag nur zum Zuge kommt, wenn die nach § 31 Satz 4 EStG vorzunehmende Vergleichsrechnung (Günstigerprüfung) ergibt, dass der Steuerpflichtige durch den Freibetrag besser gestellt wird. Das gilt auch, wenn das Kindergeld nicht an den Steuerpflichtigen, sondern an den anderen Elternteil ausgezahlt wird, das Kindergeld dem Steuerpflichtigen aber im Wege eines zivilrechtlichen Ausgleichs zusteht. Haben beide Eltern Anspruch auf einen Kinderfreibetrag, wird bei dem barunterhaltspflichtigen Elternteil das dem anderen Elternteil ausgezahlte (hälftige) Kindergeld (hier: 1200 DM) so berücksichtigt, als hätte er es selbst erhalten. Dementsprechend wird bei dem Elternteil, der seiner Unterhaltsverpflichtung durch Betreuung des Kindes nachkommt, auch nur das hälftige Kindergeld berücksichtigt, obwohl es in voller Höhe an ihn ausgezahlt worden ist. Dieser sog. Halbteilungsgrundsatz bewirkt, dass die steuerliche Entlastung durch Kindergeld bzw. Kinderfreibetrag grundsätzlich beiden Elternteilen wirtschaftlich gleichmäßig zugute kommt. Zivilrechtlich kommt dem barunterhaltspflichtigen Elternteil das vom anderen Elternteil vereinnahmte Kindergeld dadurch zugute, dass es hälftig auf den Unterhaltsanspruch des Kindes angerechnet wird. Obwohl das anteilige Kindergeld nicht dem Kind zusteht, wird der Ausgleich aus Gründen der Praktikabilität über den Unterhaltsanspruch des Kindes durchgeführt.
Der genannte Halbteilungsgrundsatz greift auch dann ein, wenn der Steuerpflichtige auf seinen Ausgleichsanspruch verzichtet. Denn andernfalls könnte der Verzicht eine Mehrfachbegünstigung auslösen, indem dem barunterhaltspflichtigen Elternteil der hälftige Kinderfreibetrag ohne Anrechnung des hälftigen Kindergelds gewährt würde, während dem anderen Elternteil bei der Günstigerprüfung das volle Kindergeld zuzurechnen wäre.
Praxishinweis
Der barunterhaltspflichtige Elternteil kann für die Zukunft Nachteile dadurch vermeiden, dass er bei der Neufestsetzung des Unterhalts auf den ihm nach § 1612b BGB zustehenden Anrechnungsanspruch besteht. Dagegen nützt es ihm für die Vergangenheit nichts, dass zum Zeitpunkt seines erstmaligen Ausgleichsverzichts der Halbteilungsgrundsatz noch nicht gegolten hat. Im Übrigen ließ der BFH offen, ob der (wirtschaftliche) Verlust des Ausgleichsanspruchs auch dann einkommensteuerrechtlich unbeachtlich ist, wenn er nicht – wie hier – auf Vereinbarung der Eltern, sondern auf § 1612b Abs. 5 EStG beruht. Nach dieser Vorschrift unterbleibt die Anrechnung des Kindergelds, soweit der zum Barunterhalt Verpflichtete außerstande ist, den vollen Regelbetrag (ab 2001: 135 %) nach der Regelbetrag-Verordnung zu leisten.
Link zur Entscheidung
BFH-Urteil vom 16.3.2004, VIII R 86/98