Leitsatz
Sind erbschaftsteuerrechtliche Begünstigungen (nur) für inländisches land- und forstwirtschaftliches Vermögen (Freibetrag, Bewertungsabschlag, niedrige Bewertung) mit Art. 73b Abs. 1 EGV (jetzt: Art. 56 Abs. 1 EG) vereinbar?
Sachverhalt
Der in Frankreich lebende S ist Alleinerbe seiner 1998 verstorbenen und zuletzt im Inland wohnenden Mutter. Zum Nachlass gehört neben Inlandsvermögen auch Grundbesitz zweier land- und forstwirtschaftlicher Betriebe in Frankreich. Der Erwerb dieses Grundbesitzes unterlag in Frankreich der Erbschaftsteuer, die vom Finanzamt angerechnet wurde.
Entscheidung
Der BFH hat den Fall zur Vorabentscheidung dem EuGH vorgelegt, weil er Zweifel an der Vereinbarkeit der erbschaftsteuerrechtlichen Beurteilung des Erwerbs des Auslandsvermögens mit EU-Recht hat. Zwar ist der Erwerb des in Frankreich belegenen Vermögens infolge der Anrechnung der ausländischen Erbschaftsteuer nach § 21 ErbStG nicht mehr mit deutscher Erbschaftsteuer belastet. Gleichwohl wird S im Inland nicht so besteuert, als gehörte dieser Grundbesitz nicht zum Nachlass:
Zum einen wurde der persönliche Freibetrag von 400 000 DM durch den Erwerb des ausländischen Grundbesitzes anteilig aufgezehrt und stand damit für das Inlandsvermögen nicht mehr vollständig zur Verfügung. Zum anderen tritt eine höhere Belastungswirkung des Inlandsvermögens auch bei einem Vergleich mit einem Fall ein, bei dem angenommen wird, der Grundbesitz sei unter sonst gleichen Umständen nicht in Frankreich, sondern im Inland belegen; dies beruht auf der Bewertung von Auslandsvermögen mit dem gemeinen Wert nach § 31 BewG sowie dem Freibetrag und verminderten Wertansatz beim Erwerb inländischen land- und forstwirtschaftlichen Vermögens nach § 13a ErbStG.
Die Europarechtserheblichkeit ergibt sich aus einem Vergleich der Steuerbelastung des Inlandsvermögens infolge des Vorhandenseins des Auslandsvermögens mit der Besteuerung, die bei unterstellter Belegenheit des Auslandsvermögens im Inland zu tragen wäre. Spätestens seit dem EuGH-Urteil vom 11.12.2003 ist zweifelhaft, ob die dargelegten Rechtsfolgen mit der Freiheit des Kapitalverkehrs vereinbar sind. Im Ergebnis führen die deutschen Vorschriften dazu, dass nach dem Ort unterschieden wird, in dem sich der Nachlass bzw. ein Teil davon zum Todeszeitpunkt des Erblassers befindet. Zweifelhaft ist ebenfalls, ob diese Regelungen durch den nationalen Steuervorbehalt des § 73d Abs. 1 Buchst. a EGV gedeckt sind, da sowohl die Bewertung des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens nach den §§ 140ff. BewG als auch die Freibetrags- und Wertabschlagsbestimmungen in § 13a ErbStG erst durch das JStG 1997 rückwirkend auf den 1.1.1996 neu geregelt wurden.
Praxishinweis
Die Entscheidung betrifft in gleicher Weise ausländischen Grundbesitz und ausländisches Betriebsvermögen. Für beide Vermögensarten gelten im Inland besondere Bewertungsregeln, die zu Werten deutlich unter dem gemeinen Wert führen, der nach § 31 BewG für Auslandsvermögen gilt. Ausländisches Betriebsvermögen ist zudem von den Vergünstigungen nach § 13a ErbStG ausgenommen.
Link zur Entscheidung
BFH-Beschluss vom 11.4.2006, II R 35/05