Leitsatz (amtlich)
Ordnet das BVerfG in einem sog. Anlassfall an, die Kläger hätten einen Anspruch darauf, dass der Erfolg ihrer Verfassungsbeschwerde sich für sie in einer den verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechenden einkommensteuerlichen Entlastung auswirkt, so obliegt es erforderlichenfalls dem BFH, vollen Rechtsschutz der Kläger durch eine entsprechende Herabsetzung der Einkommensteuer sicherzustellen, ohne dass es hierbei auf die im Klage- und Revisionsverfahren gestellten Anträge ankommt.
Sachverhalt
Die Kläger wurden im Streitjahr 1996 als Eheleute zusammen zur ESt veranlagt. Der Kläger erzielte Einkünfte aus selbständiger Arbeit, die Klägerin Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Die Kläger haben drei Kinder, die im Streitjahr ein, drei und vier Jahre alt waren. Für deren Betreuung entstanden ihnen im Streitjahr Aufwendungen von 19 792 DM. Nachdem das Finanzamt die Anerkennung der Kinderbetreuungskosten abgelehnt hatte, begehrten die Kläger mit der Klage, den hälftigen Betrag von 9 896 DM als außergewöhnliche Belastungen oder als Werbungskosten der Klägerin zu berücksichtigen. Die Klage, mit der die Kläger vorbrachten, sie würden gegenüber nicht verheirateten Personen und eheähnlichen Lebensgemeinschaften mit Kindern benachteiligt, blieb erfolglos. Der BFH wies die dagegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde als unbegründet zurück. Auf die hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde hob das BVerfG die Entscheidung des BFH auf. Es führte u.a. aus, die Kläger seien in ihren Grundrechten aus Art. 6 Abs. 1, 2 GG verletzt, soweit sie vom Abzug der Kinderbetreuungskosten und eines Haushaltsfreibetrags ausgeschlossen seien. Das BVerfG verwies das vorliegende Anlassverfahren an den BFH zurück. Dieser ließ die Revision zu und gab der Klage statt.
Entscheidungsgründe
Nach den Ausführungen des BVerfG haben die Kläger einen Rechtsanspruch darauf, dass der Erfolg ihrer Verfassungsbeschwerde sich für sie in einer den verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechenden einkommensteuerlichen Entlastung auswirkt. Es ist sicherzustellen, dass den Klägern die in § 33c und § 32 Abs. 7 EStG 1986 vorgesehenen Entlastungen zugute kommen. An diese Ausführungen ist der Senat gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG gebunden. Der Senat versteht den Auftrag des BVerfG dahin, dass eine der Verfassung gemäße Besteuerung der Kläger nur dann vorliegt, wenn die angeführten kindbedingten Entlastungen betragsmäßig in voller Höhe berücksichtigt werden, ohne dass es auf die im Klage- und Revisionsverfahren gestellten Anträge ankommt. Dies bedeutet für den vorliegenden Anlassfall, dass zum einen Kinderbetreuungskosten von 8 000 DM und zum anderen der volle Haushaltsfreibetrag von 4 536 DM zu berücksichtigen sind. Bei den Kinderbetreuungskosten scheidet der Ansatz einer zumutbaren Eigenbelastung aus.
Der - wenngleich ersatzweise zur Abhilfe berufene - Gesetzgeber hat u.a. für den vorliegenden Anlassfall z.B. im Zuge der Neuregelung des § 53 EStG keine rückwirkende Regelung zugunsten der Kläger getroffen. Eine solche Regelung ist auch nicht (mehr) zu erwarten. Zudem hat es das Finanzamt abgelehnt, den Klägern die erforderlichen kindbedingten Entlastungen zugute kommen zu lassen; insbesondere hat es die vom BVerfG angeregte Billigkeitsprüfung nicht aufgegriffen. Es ist deshalb Aufgabe des Senats, die Vorgaben des BVerfG in einer den Rechtsschutz der Kläger in vollem Umfang wahrenden Weise umzusetzen.
Nach den Angaben der Kläger hat es das Betriebsstätten-Finanzamt des Klägers abgelehnt, die hälftigen Kinderbetreuungskosten bei dessen einheitlicher und gesonderter Gewinnfeststellung anzuerkennen. Der Senat kann offen lassen, wieweit die Bindung an eine solche in einem Grundlagenbescheid ausgesprochene Feststellung reicht. Jedenfalls gehören die im Streitfall angesprochenen steuerlichen kindbedingten Entlastungen - auch nach den Vorgaben des BVerfG - schon ihrer Art nach eindeutig nicht in den Fest-stellungs- bzw. Regelungsbereich eines Grundlagenbescheids.
Link zur Entscheidung
BFH vom 3.7.2002 – VI R 87/99