Leitsatz
Ein erstmaliger Bescheid über die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs nach § 10d EStG kann bis zum Ablauf der Feststellungsfrist auch dann noch ergehen, wenn eine Veranlagung zur Einkommensteuer vom Finanzamt wegen Ablaufs der zweijährigen Antragsfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG bestandskräftig abgelehnt worden ist.
Sachverhalt
S reichte im Juni 2002 eine Einkommensteuererklärung für 1998 ein, worin sie Arbeitslohn in Höhe von 656 DM, von dem keine Lohnsteuer abgezogen worden war, Einnahmen aus Kapitalvermögen in Höhe von 1512 DM und einen Verlust aus Gewerbebetrieb in Höhe von 117299 DM erklärte. Das Finanzamt lehnte eine Veranlagung ab, da es sich um eine Antragsveranlagung handele und die zweijährige Antragsfrist dafür bereits abgelaufen sei. Im Juli 2002 beantragte S, den verbleibenden Verlustabzug auf den 31.12.1998 gesondert festzustellen. Dies lehnte das Finanzamt mit der Begründung ab, eine Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs sei nur dann durchzuführen, wenn es noch zulässig sei, einen Steuerbescheid für den Veranlagungszeitraum zu erlassen oder zu ändern. Dem stehe der Ablauf der Zwei-Jahres-Frist nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG entgegen. Das FG gab der Klage statt.
Entscheidung
Der BFH bestätigte die Auffassung des FG, dass das Finanzamt verpflichtet sei, einen etwaigen Verlust gesondert festzustellen. Die Verpflichtung ergibt sich aus § 10d Abs. 3 Satz 1 EStG 1998, wonach der am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibende Verlustabzug gesondert festzustellen ist. § 10d Abs. 3 Satz 4 EStG, wonach Feststellungsbescheide zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern sind, soweit sich die nach Satz 2 zu berücksichtigenden Beträge ändern und deshalb der entsprechende Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern ist, ist hier nicht einschlägig. Im Streitfall hat sich nämlich keine Bezugsgröße geändert, vielmehr wird erstmalig die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs auf der Grundlage des Verlusts des Jahres 1998 geltend gemacht, für das keine Einkommensteuerveranlagung durchgeführt worden ist. Der Ablauf der Frist zur Antragsveranlagung steht einer Verlustfeststellung ebenfalls nicht entgegen. Denn § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG regelt nur die Frage, ob eine Veranlagung i.S. des § 25 EStG vorzunehmen ist, die Vorschrift bestimmt aber nicht die Voraussetzungen für den erstmaligen Erlass eines Feststellungsbescheids nach § 10d Abs. 3 Satz 1 EStG. Eine Regelungslücke, die es rechtfertigen könnte, § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG analog auch auf die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs anzuwenden, ist nicht erkennbar.
Praxishinweis
Mit Urteil vom 9.12.1998 hat der BFH entschieden, Voraussetzung für den erstmaligen Erlass eines Feststellungsbescheids über den verbleibenden Verlustabzug sei, dass der zugrundeliegende – bisher keinen Verlust ausweisende – Steuerbescheid noch entsprechend geändert werden könne. Hintergrund dieses aus §10d Abs. 3 Satz 4 EStG abgeleiteten Übereinstimmungserfordernisses zwischen Feststellungs- und Einkommensteuerbescheid war zu verhindern, dass durch den Erlass des Feststellungsbescheids Fehler korrigiert werden, die in einem bestandskräftigen Steuerbescheid enthalten sind und dort nicht mehr geändert werden können. Auf diese Entscheidung hat sich das Finanzamt im Streitfall zu Unrecht berufen. Denn hier liegt ein Einkommensteuerbescheid weder vor noch kann ein solcher in Zukunft ergehen. Ein Widerspruch zwischen Einkommensteuer- und Feststellungsbescheid kann nicht entstehen. Die Sicherung der Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids steht damit dem erstmaligen Erlass des Feststellungsbescheids über den verbleibenden Verlustabzug nicht entgegen.
Link zur Entscheidung
BFH-Urteil vom 1.3.2006, XI R 33/04