Leitsatz

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und vor Abschluss der Prüfungen gemäß der §§ 176, 177 InsO dürfen grundsätzlich keine Bescheide mehr erlassen werden, in denen Besteuerungsgrundlagen festgestellt oder festgesetzt werden, die die Höhe der zur Insolvenztabelle anzumeldenden Steuerforderungen beeinflussen können.

 

Sachverhalt

Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem am 12.5.2000 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der C-GmbH. Am 7. bzw. 8.6.2000 erließ das Finanzamt an den Kläger adressierte und die C-GmbH betreffende Körperschaftsteuerbescheide für die Jahre 1998 und 1999. Den Bescheiden liegen Schätzungen zugrunde, da die C-GmbH für die Veranlagungszeiträume 1998 und 1999 (Streitjahre) keine Steuererklärungen abgegeben hatte. Der Einspruch gegen die Bescheide war erfolglos. Im Klageverfahren hob das FG die Bescheide und die Einspruchsentscheidung auf. Es war der Auffassung[1], die Bescheide hätten wegen des Insolvenzverfahrens nicht erlassen werden dürfen und seien deshalb unwirksam. Die dagegen eingelegte Revision blieb erfolglos.

 

Entscheidung

Die Bescheide vom 7. und 8.6.2000 waren unwirksam, da sie wegen des Vorrangs des Insolvenz- gegenüber dem Festsetzungs- und Feststellungsverfahren nicht hätten ergehen dürfen. Insolvenzgläubiger – hierzu zählt auch das Finanzamt – können ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen[2]. Insolvenzforderungen müssen zur Eintragung in die Forderungstabelle angemeldet werden. Finanzämter dürfen derart anzumeldende Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr festsetzen. Ein dennoch erlassener Steuerbescheid ist unwirksam[3]. Entsprechendes gilt für Bescheide, durch die Besteuerungsgrundlagen festgestellt oder festgesetzt werden, die Auswirkungen auf die nach § 174 InsO zur Tabelle anzumeldenden Steuerforderungen haben können.

Schon zum alten Konkursrecht[4] hatte der BFH festgehalten[5], dass nach Eröffnung des Konkursverfahrens keine Bescheide mehr erlassen werden dürfen, in denen Besteuerungsgrundlagen festgestellt oder festgesetzt werden, die die Höhe der zur Konkurstabelle anzumeldenden Steuerforderungen beeinflussen könnten. Würde man dies zulassen, könnte das Finanzamt das vorgeschriebene Verfahren unterlaufen. Bescheide, durch die lediglich Besteuerungsgrundlagen festgestellt oder festgesetzt werden, sind zwar nicht unmittelbar auf eine Befriedigung des Steuergläubigers gerichtet. Die festgestellten oder festgesetzten Besteuerungsgrundlagen präjudizieren aber das Konkursverfahren insoweit, als sie Steuern betreffen, die Konkursforderungen sein können.

Diese Grundsätze gelten unverändert auch für das neue Insolvenzrecht. Dabei genügt es, dass die durch die angefochtenen Bescheide festgestellten Besteuerungsgrundlagen abstrakt geeignet sind, sich auf Steueransprüche, die eventuell als Insolvenzforderungen angemeldet werden sollen, auszuwirken. Verfahrensrechtliche Regelungen sollen klar und für die Rechtsanwender handhabbar sein. Sie sollen aber nicht zu überflüssigen Streitigkeiten führen. Dem widerspräche es, die Zulässigkeit gesonderter Feststellungen davon abhängig zu machen, ob und wie sich die Feststellungen konkret steuerlich auswirken. Die Auswirkungen gesondert festzustellender Besteuerungsgrundlagen hängen oft von Umständen und künftigen Entwicklungen ab, die dem für die Feststellung zuständigen Finanzamt und dem Insolvenzverwalter im Zeitpunkt der Feststellung (noch) nicht bekannt sind. Beide würden daher erheblich belastet, wenn die Zulässigkeit gesonderter Feststellungen davon abhängig wäre, ob sich die Feststellungen tatsächlich zum Nachteil der Insolvenzschuldnerin auswirken oder nicht. Wegen der tatsächlichen und rechtlichen Unsicherheiten käme es zu Einspruchs- und Klageverfahren, die sich am Ende als überflüssig erweisen würden, wenn die festgestellten Besteuerungsgrundlagen tatsächlich keine steuerlichen Auswirkungen haben.

 

Praxishinweis

Feststellungen von Besteuerungsgrundlagen, die sich auf Insolvenzforderungen auswirken, können im Einzelfall für den Insolvenzschuldner zwar auch vorteilhaft sein, z.B. wenn sie zu einem Verlustrücktrag führen oder zusammen mit einer Steuerfestsetzung Grundlagen für die Erstattung von Vorauszahlungen sind. In derartigen Fällen ist es unter Umständen zulässig, ausnahmsweise die Feststellungen oder Festsetzungen von Besteuerungsgrundlagen und Steuern zuzulassen, wenn der Insolvenzverwalter dies ausdrücklich beantragt. Im Streitfall war diese Frage jedoch nicht zu entscheiden und wurde daher ausdrücklich offen gelassen.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 18.12.2002, I R 33/01

[3] Vgl. Welzel, Steuerverfahrensrechtliche Besonderheiten während der Insolvenz des Steuerpflichtigen, DStZ 1999, S. 559
[4] Vgl. § 141 KO

Dieser Inhalt ist unter anderem im WohnungsWirtschafts Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?