Leitsätze (amtlich)
at ein Unternehmer Rechnungen mit gesondertem Ausweis von Umsatzsteuer ausgestellt und Dritten übergeben, obwohl er die darin bezeichneten Leistungen nicht ausgeführt hat, und haben die Rechnungsempfänger die ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuerbeträge abgezogen, so schuldet der Aussteller die ausgewiesene Steuer nach § 14 Abs. 3 UStG, auch wenn er seine angeblichen Leistungen umsatzversteuert hat.
Da aber in diesem Fall keine Gefährdung des Steueraufkommens besteht, wenn der Vorsteuerabzug bei den Rechnungsempfängern berichtigt wurde, verlangt der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer, dass die unberechtigt in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer unabhängig von einem guten Glauben des Rechnungsausstellers berichtigt werden kann (Anschluss an EuGH-Urteil vom 19.9.2000, Rs. CM54/98, UR 2000, S. 470).
- Beantragt der Unternehmer beim FA, ihm diese entrichtete Umsatzsteuer aus sachlichen Billigkeitsgründen gemäß § 227 AO 1977 zu erstatten, kann sein Antrag nur Erfolg haben, soweit der den Rechnungsempfängern gewährte Vorsteuerabzug rückabgewickelt worden ist.
Sachverhalt
Der Kläger betrieb in den Streitjahren 1992 und 1993 einen Handel mit Büromaschinen. Um Verluste einer seiner Filialen zu verschleiern und eine bessere Ertragslage vorzutäuschen, stellte er verschiedenen Leasingunternehmen Rechnungen über fingierte, d.h. nicht ausgeführte Lieferungen aus. Die Leasingunternehmen beglichen die Rechnungen und zogen die darin ausgewiesene USt als Vorsteuerbeträge ab. Der Kläger unterwarf die "Entgelte" in den Voranmeldungen für die Streitjahre der USt. Anschließend zahlte er den Leasingunternehmen in Raten den jeweiligen "Kaufpreis" zurück. 1994 erstattete der Kläger beim Finanzamt Selbstanzeige. Nach einer Außenprüfung setzte das Finanzamt gegen den Kläger die in den Rechnungen gesondert ausgewiesene USt gemäß § 14 Abs. 3 Satz 2, 2. Alternative UStG 1991/1993 fest. Die Bescheide wurden bestandskräftig. Den Antrag des Klägers, die entsprechenden USt-Beträge gemäß § 227 AO aus Billigkeitsgründen zu erlassen, lehnte das Finanzamt ab. Das FG wies die dagegen erhobene Klage ab. Auf die Revision hob der BFH die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück.
Entscheidungsgründe
Im Streitfall war die Festsetzung der USt gemäß § 14 Abs. 3 Satz 2, 2. Alternative UStG gerechtfertigt. Der Kläger hat Rechnungen mit gesondertem Ausweis von USt ausgestellt und Dritten übergeben, obwohl er die darin bezeichneten Lieferungen nicht ausgeführt hat. Ob diese Steuerfestsetzung den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft und damit den vom Kläger begehrten sachlichen Billigkeitserlass rechtfertigt, lässt sich ohne weitere Feststellungen nicht entscheiden. Unter welchen Voraussetzungen die Berichtigung einer zu Unrecht in Rechnung gestellten Steuer zulässig ist, hat der EuGH entschieden: "Hat der Aussteller der Rechnung die Gefährdung des Steueraufkommens rechtzeitig und vollständig beseitigt, so verlangt der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer, dass zu Unrecht in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer berichtigt werden kann, ohne dass eine solche Berichtigung vom guten Glauben des Ausstellers der betreffenden Rechnung abhängig gemacht werden darf. Es ist Sache der Mitgliedstaaten, das Verfahren festzulegen, in dem zu Unrecht in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer berichtigt werden kann, wobei diese Berichtigung nicht im Ermessen der Finanzverwaltung stehen darf."
Im Streitfall wurde zunächst die Gefährdung des Steueraufkommens rechtzeitig und vollständig beseitigt, da der Kläger die in den verwendeten Rechnungen gesondert ausgewiesenen Beträge an das Finanzamt entrichtete. Der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer war gewahrt, weil sich die vom Kläger entrichtete USt und die von den Leasingunternehmen abgezogenen Vorsteuerbeträge ausglichen. Dieses Gleichgewicht wäre gestört, wenn dem Erlassantrag des Klägers stattgegeben würde, ohne dass der den angeblichen Leistungsempfängern gewährte Vorsteuerabzug rückabgewickelt worden wäre. Ein Erlass kommt deshalb nur und insoweit in Betracht, als der von den einzelnen Rechnungsempfängern in Anspruch genommene Vorsteuerabzug rückgängig gemacht worden ist und die entsprechenden Beträge an den Fiskus tatsächlich zurückgezahlt worden sind. Das FG wird daher im zweiten Rechtsgang prüfen müssen, ob und in welchem Umfang der den Rechnungsempfängern gewährte Vorsteuerabzug rückabgewickelt worden ist. Soweit die Feststellungen ergeben, dass der gewährte Vorsteuerabzug rückgängig gemacht worden ist, hat der Kläger einen Anspruch auf Steuererlass (Ermessensreduzierung auf Null).
Link zur Entscheidung
BFH vom 8.3.2001 – V R 61/97