Leitsatz

  1. Die Erhebung von Säumniszuschlägen ist sachlich unbillig, wenn dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung der Steuer wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich ist und deshalb die Ausübung von Druck zur Zahlung ihren Sinn verliert. Das Finanzamt ist regelmäßig nicht verpflichtet, bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung des Steuerpflichtigen mehr als die Hälfte der verwirkten Säumniszuschläge zu erlassen.
  2. Die Frage, ob seit Eröffnung des Konkursverfahrens laufende Säumniszuschläge gemäß § 63 Nr. 1 KO im Konkursverfahren nicht geltend gemacht werden dürfen, kann in einem vom Konkursverwalter angestrengten Verfahren wegen Erlasses aus Billigkeitsgründen nicht entschieden werden. Hierüber ist gemäß § 251 Abs. 3 AO 1977 a.F. durch Feststellungsbescheid zu entscheiden.
  3. Für den Erlass der Säumniszuschläge zur Lohnsteuer gelten keine Besonderheiten.
 

Sachverhalt

Mit Beschluss vom 20.1.1997 ordnete das AG die Sequestration des Geschäftsbetriebs des Gemeinschuldners an; am 9.7.1997 wurde das Konkursverfahren eröffnet; der Kläger wurde zum Konkursverwalter bestellt.

Das Finanzamt meldete Steuerforderungen und hierauf zu entrichtende Säumniszuschläge zur Konkurstabelle an. Der Kläger beantragte den Erlass sämtlicher Säumniszuschläge, soweit sie über den 20.1.1997 hinaus berechnet wurden. Das Finanzamt erließ darauf die Hälfte der nach dem 20.1.1997 entstandenen Säumniszuschläge zur Einkommen- und Umsatzsteuer. Einen Erlass der Säumniszuschläge zur Lohnsteuer wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung lehnte das Finanzamt ab, da die Annahme einer Zahlungsunfähigkeit hinsichtlich der Lohnsteuer begrifflich schon deshalb ausscheide, weil der Arbeitgeber in keinem Fall mit der einzubehaltenden und abzuführenden Lohnsteuer belastet werde. Der Antrag des Klägers auf weiteren Erlass hatte – auch vor dem FG – keinen Erfolg.

 

Entscheidung

  1. Hinsichtlich der Säumniszuschläge zur Einkommen- und Umsatzsteuer war die Revision unbegründet. Dagegen war sie hinsichtlich der Säumniszuschläge zur Lohnsteuer begründet; insoweit führt sie zur Aufhebung der Vorentscheidung und des Ablehnungsbescheids sowie zur Verpflichtung des Finanzamts, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.

    Die allgemeinen Erlassgrundsätze für Säumniszuschläge (Leitsatz 1) gelten auch für nach Stellung des Konkursantrags entstandene Säumniszuschläge. Demnach hat das FG zu Recht einen Anspruch des Klägers auf Erlass von mehr als der Hälfte der Säumniszuschläge zur Einkommen- und Umsatzsteuer verneint, soweit diese nach Stellung des Konkursantrags entstanden sind.

    Zwar können nach § 63 Nr. 1 KO seit der Eröffnung des Konkursverfahrens laufende Zinsen – darunter fallen wohl auch Säumniszuschläge[1] – im Konkursverfahren nicht geltend gemacht werden. Diese Regelung konnte im Erlassverfahren nicht berücksichtigt werden. Eine Billigkeitsentscheidung statt des dazu vorgesehenen Feststellungsverfahrens nach § 251 Abs. 3 AO ist grundsätzlich nicht zulässig (Leitsatz 2).

  2. Hinsichtlich der Säumniszuschläge zur Lohnsteuer hatte die Revision (teilweise) Erfolg. Denn diese sind unter denselben Voraussetzungen gemäß § 227 AO zu erlassen wie die übrigen Säumniszuschläge und können unter denselben Voraussetzungen zur Konkurstabelle angemeldet werden wie die übrigen Säumniszuschläge. Die vollständige Ablehnung des Erlasses der Säumniszuschläge zur Lohnsteuer war demnach nicht rechtmäßig.
 

Praxishinweis

Zum einen zeigt der Fall, dass die im Konkurs- bzw. Insolvenzverfahren geltenden Angriffs- und Verteidigungsmittel auch für Steuer- und Nebenforderungen auszuschöpfen sind. Im vorliegenden Fall wäre Widerspruch gegen die Anmeldung der Säumniszuschläge zur Konkurstabelle anzumelden gewesen. Im Erlassverfahren kann dieses Unterlassen des Insolvenzverwalters nicht geheilt werden. Denn es ist ihm regelmäßig möglich und zumutbar, sich gegen die angenommene Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zu wehren. Zum anderen verdeutlicht das Urteil, dass für eine einschränkende "Sonderbehandlung" von Säumniszuschlägen zur Lohnsteuer gegenüber den übrigen Säumniszuschlägen keine Rechtsgrundlage besteht.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 09.07.2003, V R 57/02

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