Leitsatz
- Soweit die Finanzverwaltung die Ermittlung des Betriebsaufgabegewinns auf einen – längstens drei Monate – zurückliegenden Zeitpunkt zulässt (nunmehr R 139 Abs. 5 Satz 13 EStR 2003), handelt es sich nicht um die steuerliche Anerkennung einer rückwirkend erklärten Betriebsaufgabe, sondern um die Übertragung von Werten, die für einen früheren Zeitpunkt ermittelt werden, auf den Betriebsaufgabezeitpunkt. Eine solche Übertragung von Werten ist aber nur zulässig, wenn zwischenzeitlich keine bedeutenden Wertveränderungen eingetreten sind (Bestätigung des Urteils vom 27.2.1985, I R 235/80, BStBl II 1985, S. 456).
- Im Fall einer Betriebsverpachtung gilt eine Betriebsaufgabe im Zweifel ohnedies erst mit dem Zugang der Betriebsaufgabeerklärung beim Finanzamt als vollzogen.
Sachverhalt
Die Erbin eines 3,38 ha großen Landwirtschaftsbetriebs teilte dem Finanzamt mit, sie habe den Betrieb mit Wirkung zum 1.10.1996 aufgegeben. In ihrer Einkommensteuererklärung für 1996 erklärte sie einen Aufgabegewinn von 198923 DM. Nach dem beigefügten Gutachten des Gutachterausschusses waren Teilflächen eines insgesamt 28233 qm großen Grundstücks als landwirtschaftliche Nutzflächen mit teils 12 DM/qm, teils 6 DM/qm zu bewerten. Das Finanzamt setzte die Einkommensteuer danach vorbehaltlos und nur wegen bestimmter verfassungsrechtlicher Zweifelsfragen vorläufig fest. Nachdem bei einer Betriebsprüfung festgestellt worden war, dass der überwiegende Teil des Betriebs durch Vertrag vom 1.7.1997 an die Gemeinde Y für 870000 DM verkauft worden war – die entsprechende Veräußerungsmitteilung des beurkundenden Notars befindet sich in der Einkommensteuerakte –, änderte das Finanzamt den Einkommensteuerbescheid unter Berücksichtigung dieses Veräußerungsgewinns. Der Einspruch blieb überwiegend erfolglos. Das FG gab der Klage statt.
Entscheidung
Der BFH hat die Revision als begründet angesehen, weil das FG das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Änderung des Einkommensteuerbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu Unrecht verneint hat. Danach sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Nur wenn die erst nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen und Beweismittel dem Finanzamt bei ordnungsgemäßer Erfüllung der Amtsermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wären und der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflicht erfüllt hat, bleibt die Steuerfestsetzung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben unverändert. Haben sowohl der Steuerpflichtige als auch das Finanzamt es versäumt, den Sachverhalt aufzuklären, trifft in der Regel den Steuerpflichtigen die Verantwortung mit der Folge, dass der Steuerbescheid geändert werden kann, es sei denn, der Verstoß der Finanzbehörde überwiegt den des Steuerpflichtigen deutlich.
Zu den Tatsachen i.S.des § 173 AO gehört auch der hier streitige Beschluss der Gemeinde über die Aufstellung eines Gesamtflächennutzungsplans unabhängig von der gegebenenfalls noch fehlenden Verabschiedung, weil schon der Beschluss am Markt die sichere Erwartung begründen kann, dass der von dem Planungsvorhaben erfasste Bereich Bauerwartungsland i.S. von § 4 Abs. 2 WertV wird. Der Ankauf der strittigen Fläche durch die Gemeinde ermöglicht dabei zumindest als Hilfstatsache den sicheren Schluss, dass das in der Aufstellung des Flächennutzungsplans liegende Verhalten der Gemeinde die bauliche Nutzung des gesamten Grundstücks alsbald erwarten lässt.
Für das nachträgliche Bekanntwerden einer Tatsache kommt es auf den Kenntnisstand der Personen an, die innerhalb der Finanzbehörde dazu berufen sind, den betreffenden Steuerfall zu bearbeiten, hier also der erst später informierten Veranlagungsstelle, nicht aber der zunächst allein über die Veräußerung informierten Grunderwerbsteuerstelle. Die Veranlagungsstelle durfte dabei mit Blick auf das vorgelegte Gutachten des Gutachterausschusses ohne weitere eigene Sachermittlung von den ermittelten Werten im Steuerfestsetzungsverfahren ausgehen.
Praxishinweis
- Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH ist zwar der Wert eines Gegenstands grundsätzlich keine Tatsache, sondern nur das Ergebnis von Schlussfolgerungen, aber die wertbildenden oder wertbegründenden Merkmale, z.B. die Baureife eines Grundstücks, sind Tatsachen i.S. des § 173 AO.
- In Fällen der vorliegenden Art muss das FG stets feststellen, ob ein land- und forstwirtschaftlicher Verpachtungsbetrieb oder eine endgültige Betriebsaufgabe vorliegt; eine bloße Betriebsunterbrechung, und zwar in Form einer parzellenweisen Verpachtung, kann auch in Betracht kommen, wenn zumindest ein Teil der an die Gemeinde verkauften Flächen an andere Landwirte verpachtet war.
Link zur Entscheidung
BFH-Urteil vom 18.8.2005, IV R 9/04