Leitsatz
Übernimmt der Betreiber einer Baumschule auf Wunsch eines Teils seiner Kunden auch das Einpflanzen der dort gekauften Pflanzen, können die (dem ermäßigten Steuersatz unterliegende) Lieferung der Pflanzen und das (dem Regelsteuersatz unterliegende) Einpflanzen umsatzsteuerrechtlich jeweils selbstständige Leistungen sein (entgegen BMF, Schreiben v. 5.8.2004, BStBl 2004 I S. 638, 646 f., Rz. 35 Nr. 1 Abs. 1 und Rz. 41).
Konsequenzen für die Praxis
Die Kriterien des EuGH, wonach mehrere Leistungen (Lieferungen und/oder sonstige Leistungen) als einheitlich oder als selbstständig zu beurteilen sind, sind schon mehrfach wiedergegeben worden. Grundsatz ist: jede Leistung ist als eigenständige, selbstständige Leistung zu betrachten; allerdings darf eine wirtschaftlich einheitliche Dienstleistung im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden. Maßgeblich ist insoweit die Sicht des Durchschnittsverbrauchers: Einheitliche Leistung bei Haupt- und Nebenleistung (im Sinne einer Leistung, die für den Leistungsempfänger keinen eigenen Zweck erfüllt, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistenden unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen) oder bei enger Verbindung der beiden Leistungen, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre.
Getrennte Abrechnung als allein ausschlaggebendes Kriterium haben EuGH und BFH verneint – zu Recht, denn das liefe auf eine Art Wahlrecht des Unternehmers hinaus. Auch das Verhältnis der Preise zwischen den betreffenden Leistungen soll (jedenfalls) kein ausschlaggebendes Kriterium sein, kann aber jedenfalls als "objektive Gegebenheit" (so der EuGH) eine Indizwirkung haben.
Dass eine Leistung auch für sich bestehen kann, kann allein nicht – wie dem EuGH-Urteil vom 11.6.2009 zu entnehmen sein könnte – entscheidend sein. Denn ebenso wie das Reinigen von Gemeinschaftsflächen eines vermieteten Mehrfamilienhauses (EuGH-Urteil Tellmer Property: selbstständige Leistungen) und das Verlegen eines Unterseekabels eine selbstständige Leistung sein könnte, könnte dies auch der Transport des Hotelkunden vom Bahnhof zum Hotel sein.
Die Ergebnisse, die der EuGH den Mitgliedstaaten nahe legt, sind gleichwohl verschieden. Regel (Selbstständigkeit der Leistungen) und Ausnahme (Beurteilung als einheitliche Leistung), Verhältnis der Preise sowie die Behandlung der am Umsatz Beteiligten – die, bei selbstständiger Vereinbarung, schließlich auch für Mängelfolgen von Bedeutung sein kann –, und die Denkfigur der Beurteilung des Durchschnittsverbrauchers sind als Kriterien brauchbar. Dass sich darüber im Einzelfall trefflich streiten lässt, ist wie bei jeder wertenden Beurteilung vorprogrammiert.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil v. 25.6.2009, V R 25/07, BFH/NV 2009 S. 1746