Leitsatz
Dem EuGH werden die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Art. 28b Teil F Unterabs. 1 der 6. EG-RL dahin auszulegen, dass
- das einem Menschen entnommene Knorpelmaterial ("Biopsat"), welches einem Unternehmer zum Zweck der Zellvermehrung und anschließenden Rückgabe als Implantat für den betroffenen Patienten überlassen wird, ein "beweglicher körperlicher Gegenstand" i.S. dieser Bestimmung ist,
- das Herauslösen der Gelenkknorpelzellen aus dem Knorpelmaterial und die anschließende Zellvermehrung "Arbeiten" an beweglichen körperlichen Gegenständen i.S. dieser Bestimmung sind,
- die Dienstleistung dem Empfänger bereits dann "unter seiner USt-Identifikationsnummer erbracht" worden ist, wenn diese in der Rechnung des Erbringers der Dienstleistung angeführt ist, ohne dass eine ausdrückliche schriftliche Vereinbarung über ihre Verwendung getroffen wurde?
- Falls eine der vorstehenden Fragen verneint wird:
Ist Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie dahin auszulegen, dass das Herauslösen der Gelenkknorpelzellen aus dem einem Menschen entnommenen Knorpelmaterial und die anschließende Zellvermehrung dann eine "Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin" ist, wenn die durch die Zellvermehrung gewonnenen Zellen dem Spender wieder implantiert werden?
Konsequenzen für die Praxis
Neuartige Therapien in der Medizin werfen nicht nur im Arzneimittelrecht, sondern auch im Umsatzsteuerrecht neue Fragen auf.
Bei Umsätzen mit Unternehmern aus anderen Mitgliedstaaten der EU aus der Vermehrung menschlicher Zellen stellt sich im Zusammenhang mit der Bestimmung des Leistungsorts als erstes die Frage, ob es sich dabei um eine Lieferung oder sonstige Leistung handelt. Soweit der Unternehmer zur Rückgabe des zur Zellvermehrung übersandten Gewebes verpflichtet ist, kann er darüber nicht wie ein Eigentümer verfügen. Das spricht dafür, die Zellvermehrung in diesem Fall nicht als Lieferung (§ 3 Abs. 1 UStG), sondern als sonstige Leistung (§ 3 Abs. 9 UStG) zu qualifizieren.
Gem. § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c S. 1 UStG werden "Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen" als sonstige Leistungen dort ausgeführt, wo der Unternehmer ausschließlich oder überwiegend tätig ist. Satz 2 der Vorschrift bestimmt: "Verwendet der Leistungsempfänger gegenüber dem leistenden Unternehmer eine ihm von einem anderen Mitgliedstaat erteilte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, gilt die unter dieser Nummer in Anspruch genommene Leistung als in dem Gebiet des anderen Mitgliedstaats ausgeführt."
Die Vorschrift beruht auf Art. 28b Teil F Unterabs. 1 der 6. EG-Richtlinie. Diese Vorschrift lautet: "Bei Begutachtungen von oder Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen, die an Empfänger erbracht werden, die eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer in einem anderen Mitgliedstaat als dem haben, in dem diese Dienstleistungen tatsächlich erbracht werden, gilt abweichend von Art. 9 Abs. 2 Buchst. c der Ort der Dienstleistungen als im Gebiet des Mitgliedstaats gelegen, der dem Empfänger der Dienstleistung die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer erteilt hat, unter der ihm diese Dienstleistung erbracht wurde."
Das UStG und die 6. EG-Richtlinie enthalten das übereinstimmende Tatbestandsmerkmal der "Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen". Dies wirft die Frage auf, ob dem menschlichen Körper entnommenes und zur Eigenimplantation bestimmtes Gewebe ein "körperlicher Gegenstand" ist oder ob es wegen der "funktionalen Einheit" mit dem Körper eines Menschen ebenso wie der Mensch selbst zu behandeln ist.
Nach § 4 Nr. 17 Buchst. a UStG können menschliche Organe Gegenstand einer Lieferung sein. Der EuGH wird zu entscheiden haben, ob abweichend davon menschliches Gewebe dann nicht als "körperlicher Gegenstand" zu qualifizieren ist, wenn es nicht für einen Fremden, sondern nach einer Zellvermehrung zur Eigenimplantation (sog. autologe Verwendung) bestimmt ist.
Sollte das menschliche Gewebe umsatzsteuerrechtlich in diesem Fall nicht als "körperlicher Gegenstand" angesehen werden, stellt sich die Frage, ob die Tätigkeit der Zellvermehrung als gem. § 4 Nr. 14 UStG umsatzsteuerfreie "Heilbehandlung" angesehen werden kann.
Hinsichtlich der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer weichen der Wortlaut des deutschen Gesetzes und derjenige der 6. EG-Richtlinie voneinander ab. Der Wortlaut des § 3a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c S. 2 UStG, der eine "Verwendung" der Nummer durch den Leistungsempfänger gegenüber dem leistenden Unternehmer verlangt, spricht eher für das Erfordernis einer ausdrücklichen Vereinbarung als das Gemeinschaftsrecht, wonach dem Empfänger die Dienstleistung lediglich "unter seiner Umsatzsteuer-Identifikationsnummer erbracht worden" sein muss.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss v. 1.4.2009, XI R 52/07, BFH/NV 2009 S. 1050