Leitsatz
- Ob ein Anspruch auf Kindergeld besteht, ist für jeden Monat gesondert zu prüfen. Bei der Prüfung, ob ein behindertes Kind zum Selbstunterhalt imstande ist, ist ein nicht monatlich anfallender notwendiger behinderungsbedingter Mehrbedarf, der bei einer vorausschauenden Bedarfsplanung vorhersehbar ist, auf einen angemessenen Zeitraum zu verteilen und mit einer monatlichen Durchschnittsbelastung anzusetzen.
- Zu den eigenen Mitteln eines behinderten Kindes gehört auch das Pflegegeld nach § 69b BSHG. Dieses ist in der tatsächlich ausgezahlten Höhe zu berücksichtigen.
- Bei der Ermittlung, welche Aufwendungen zur Deckung des behinderungsbedingten Mehrbedarfs notwendig sind, müssen eventuelle Hilfeleistungen der Eltern außer Betracht bleiben und dafür die Beträge angesetzt werden, die bei Inanspruchnahme fremder Dienstleister angefallen wären.
Sachverhalt
Die Familienkasse versagte dem Vater der 1975 geborenen schwerbehinderte Tochter D ab Juli 1999 das Kindergeld. Die Tochter mit 100 % Minderung der Erwerbsfähigkeit und den Merkmalen "G", "aG" und "H", die auf einen Rollstuhl angewiesen ist, wohnt seit August 1999 in einer behindertengerecht ausgestatteten Eigentumswohnung des Vaters gegen Miete und wird von einem mobilen Pflegedienst betreut. Das FG gab der Klage nur für 1999 statt und wies sie ab 2000 mit der Begründung ab, die eigenen Mittel der D in Höhe von 100787 DM (Erwerbsunfähigkeitsrente abzüglich Pauschalen: 36358 DM, Pflegegeld: 64429 DM) hätten den Grundbedarf (13500 DM) und den behinderungsbedingten Mehrbedarf (81133 DM), zusammen 94633 DM, überstiegen. Auf die Revision des Vaters verwies der BFH die Sache an das FG insoweit zurück, als es die Klage abgewiesen hatte.
Entscheidung
Nach Ergehen der Vorentscheidung hatte der BFH entschieden, dass hinsichtlich der Voraussetzungen für Kindergeld bzw. Kinderfreibetrag bei Behinderten auf den Kalendermonat abzustellen ist, was bei gleichbleibenden Verhältnissen aber zum selben Ergebnis führt wie eine Jahresberechnung. Unregelmäßig anfallende Kosten, z.B. Fahrtkosten für Arztbesuche, können aber mit einer Durchschnittsbelastung angesetzt werden. Zu den eigenen finanziellen Mitteln des Kindes gehört das Pflegegeld gemäß § 69b BSHG unabhängig davon, ob es an das Kind oder unmittelbar an den Pflegedienst gezahlt wird. Anzusetzen ist aber nur der tatsächlich geleistete Betrag und nicht ein möglicher Höchstbetrag, sodass nicht in Anspruch genommene Leistungen nicht zugerechnet werden. Ebenfalls zu den eigenen Mitteln rechnen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung, deren Abführung mit dem Grundfreibetrag abgegolten ist.
Der behinderungsbedingte Mehrbedarf umfasst alle mit der Behinderung unmittelbar zusammenhängenden außergewöhnlichen Belastungen. Dazu gehören auch vom Pflegedienst nicht in Anspruch genommene Leistungen, die von den Eltern übernommen wurden. Anzusetzen ist der Mehrbetrag, der bei Inanspruchnahme des Pflegediensts entstanden wäre. Fahrtkosten, die keine Krankheitskosten sind, können entweder pauschal mit 7800 DM (15000 km zu 0,52 DM) oder durch Nachweise für behindertengerechte öffentliche Verkehrsmittel, gegebenenfalls auch Taxi, geltend gemacht werden. Es kann daher kein – wie vom Vater begehrt – Kilometersatz von 0,90 DM mit der Begründung zugrundegelegt werden, es müsse ein größeres rollstuhlgerechtes Fahrzeug benutzt werden. Mit dem Pauschbetrag von 7800 DM wäre der notwendige Lebensbedarf nur dann nicht abgedeckt, wenn der Sozialleistungsträger einem mittellosen Kind insgesamt höhere Kosten erstatten würde.
Die Krankheitskosten zu sechs Arzt- bzw. Krankenhausfahrten hat das FG zutreffend auf 1560 DM geschätzt. Werden höhere Kosten geltend gemacht, muss nachgewiesen werden, welche Beträge der Sozialleistungsträger bzw. die Krankenkasse bei Dienstleistungen Dritter erstatten würden. Zu der vom FG offengelassenen Frage, ob der Aufwand für eine Begleitperson bei Urlaubsreisen zu berücksichtigen sei, wurde auf die Rechtsprechung verwiesen. Das FG wird nun erneut anhand der obigen Kriterien über Mittel bzw. Bedarf der Tochter zu befinden haben.
Praxishinweis
Der Entscheidung lässt sich die Tendenz entnehmen, dass behinderungsbedingter Mehraufwand nicht deswegen in höherem Maße anerkannt werden kann, weil sich die Eltern entsprechende Kosten leisten können. Maßstab ist vielmehr, welche Beträge der Sozialhilfeträger für vergleichbare Dienste Dritter bei einem mittellosen behinderten Kind erstatten würde.
Link zur Entscheidung
BFH-Urteil vom 24.8.2004, VIII R 59/01