Leitsatz (amtlich)
Bei summarischer Prüfung ist die Festsetzung von Hinterziehungszinsen zur Einkommensteuer auf Einkünfte aus Kapitalvermögen auch für Veranlagungszeiträume vor 1993 weiterhin zulässig. Die Anordnung im Urteil des BVerfG vom 27.6.1991, 2 BvR 1493/89 (BStBl II 1991, S. 654 = INF 1991, S. 356), wonach das bisherige Recht zur Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen (Zinseinkünfte) auf alle bis zum 31.12.1992 verwirklichten Besteuerungstatbestände weiter anwendbar ist, ist nicht auf das Steuerfestsetzungsverfahren beschränkt. So können Zuwiderhandlungen gegen das bis zum 31.12.1992 geltende Recht zur Besteuerung der Kapitaleinkünfte nach wie vor strafrechtlich verfolgt und geahndet werden. Dem stehen weder verfassungsrechtliche Erwägungen noch § 2 Abs. 3 StGB entgegen.
Sachverhalt
Die Antragsteller, zusammen veranlagte Eheleute, hatten in ihren ESt-Erklärungen 1988 bis 1992 Einkünfte aus Kapitalvermögen verschwiegen. Nach Bekanntwerden des Sachverhalts erließ das Finanzamt geänderte ESt-Bescheide für diese Zeiträume. Die Antragsteller fochten die Änderungsbescheide nicht an. Mit Bescheiden vom 27.1.2000 setzte das Finanzamt überdies Hinterziehungszinsen fest. Die Antragsteller legten gegen die Zinsbescheide Einspruch ein, worüber noch nicht entschieden ist. Gleichzeitig beantragten sie beim Finanzamt, die Vollziehung der angefochtenen Zinsbescheide auszusetzen. Nachdem das Finanzamt dies abgelehnt hatte, stellten sie einen entsprechenden Antrag an das FG, der ebenfalls erfolglos blieb. Die dagegen erhobene Beschwerde wies der BFH als unbegründet zurück.
Entscheidungsgründe
Zu Recht ist das FG im Ergebnis davon ausgegangen, dass an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Zinsbescheide keine ernstlichen Zweifel bestehen. Voraussetzung für die Festsetzung von Hinterziehungszinsen ist zunächst, dass eine vollendete Steuerhinterziehung vorliegt. Zu Recht hat das FG angenommen, dass an der Verwirklichung des objektiven und subjektiven Straftatbestandes des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO im Streitfall keine ernstlichen Zweifel bestehen. Daran ändert auch nichts, dass das BVerfG in seinem Zinsurteil die Besteuerung der Zinseinkünfte im Hinblick auf das seit langem bestehende Erhebungsdefizit als gleichheitswidrig i.S. von Art. 3 Abs. 1 GG angesehen hat. Was die Zinsbesteuerung angeht, lag durchgängig für den gesamten im Streitfall strafrechtlich relevanten Zeitraum (1988 bis 1992) ein formell gültiges Steuergesetz vor, das auch hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen und seines Anwendungsbereichs keine Auslegungsprobleme aufwarf. Dieser Besteuerungstatbestand ist auch nicht rückwirkend dadurch entfallen, dass er vom BVerfG mit Wirkung ex tunc, d.h. mit Wirkung für die streitigen Zinserhebungszeiträume 1988 bis 1992, für nichtig erklärt wurde. Das BVerfG hat vielmehr von einer solchen Nichtigerklärung im Zinsurteil bewusst abgesehen; im Gegenteil hat es die Fortgeltung der genannten materiellen Steuernormen bis zum Ende des hier streitigen Zinserhebungszeitraumes angeordnet. Deshalb begegnet es auch keinem ernstlichen Zweifel, dass die genannten materiellen Steuernormen auch eine geeignete Grundlage für die Ausfüllung der Blankettnorm des § 370 AO bilden. Entgegen der von den Antragstellern vertretenen Auffassung kann die Strafbarkeit der Zinssteuerhinterziehung hinsichtlich der Streitjahre und damit zugleich die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Zinsbescheide auch weder mit dem Rechtsgedanken des § 79 Abs. 1 B VerfGG in Zweifel gezogen werden noch steht einer Bestrafung wegen Hinterziehung der Einkommensteuer auf Zinseinkünfte in den Streitjahren 1988 bis 1992 und damit der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Zinsbescheide § 2 Abs. 3 StGB entgegen.
Link zur Entscheidung
BFH-Beschluss vom 27.10.2000 – VIII B 77/00
Anmerkung
Die Entscheidung ist im summarischen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangen. Die ausführliche Begründung deutet aber darauf hin, dass das Ergebnis in einem künftigen Hauptverfahren nicht anders ausfallen dürfte. In seiner Begründung folgt der VIII. Senat in weiten Teilen dem im Hauptverfahren betreffend Hinterziehungszinsen zur Vermögensteuer ergangenen Urteil des II. Senats vom 24.5.2000. Dieses Urteil ist mit der Verfassungsbeschwerde angefochten worden. Die Rechtslage bei der Festsetzung von Hinterziehungszinsen zur Vermögensteuer ist großteils, aber nicht in jeder Hinsicht mit der Rechtslage bei der Festsetzung von Hinterziehungszinsen zur Einkommensteuer auf Zinseinkünfte vor 1993 vergleichbar. So stellt sich die Frage, ob § 2 Abs. 3 StGB einer Bestrafung wegen Steuerhinterziehung und damit auch der Festsetzung von Hinterziehungszinsen entgegen steht, bei der Einkommensteuer auf Zinseinkünfte bis 1992 anders als bei der Vermögensteuer allenfalls partiell, nämlich nur insoweit, als der Sparer-Freibetrag ab 1993 von 600 DM bzw. 1 200 DM auf 6 000 DM bzw. 12 000 DM verzehnfacht wurde.