Leitsatz
Ein verbleibender Verlustabzug ist auch dann festzustellen, wenn die Einkommensteuer für diesen Veranlagungszeitraum aufgrund Verjährung nicht mehr festgesetzt werden kann.
Sachverhalt
Nach erheblichen Verlusten in den Jahren 1990 bis 1993 war für ein zusammen zur Einkommensteuer veranlagtes Ehepaar zum 31.12.1993 ein verbleibender Verlustabzug von ca. 4 Mio DM festgestellt worden. Im Jahr 2001 stellte das FA fest, dass die Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 1994 versäumt worden und zwischenzeitlich Festsetzungsverjährung eingetreten war. Eine "Probeveranlagung" ergab einen Gesamtbetrag der Einkünfte von ca. 10 Mio DM. Daraufhin erließ das FA am 16.5.2003 einen Bescheid, mit dem es den verbleibenden Verlustabzug auf den 31.12.1994 auf 0 DM feststellte. Einspruch und Klage gegen den Feststellungsbescheid hatten keinen Erfolg.
Entscheidung
Der BFH bestätigte die Auffassung des FA und des FG, dass trotz des Eintritts der Festsetzungsverjährung für die Einkommensteuer 1994 der zum 31.12.1993 verbliebene Verlustabzug mit dem positiven Gesamtbetrag der Einkünfte des Jahres 1994 verrechnet werden darf. Nach der Regelung in § 10d Abs. 3 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 EStG 1994 kommt es nicht darauf an, dass der dort aufgeführte "Gesamtbetrag der Einkünfte" bereits Gegenstand einer Veranlagung war. Der auf den 31.12.1994 verbleibende Verlustabzug ist deshalb - unabhängig davon ob eine Veranlagung durchgeführt worden ist - so zu berechnen, wie er sich bei zutreffender Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen und des Verlustrücktrags und -vortrags nach § 10d Abs. 1 und 2 EStG 1994 ergeben hätte (sog. Soll-Verlustabzug).
Hinweis
Im Rahmen der Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs gilt der Grundsatz: Rechtsrichtigkeit hat Vorrang vor Rechtssicherheit. Durch die Technik der separaten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen dürfen dem Steuerpflichtigen weder Vorteile noch Nachteile entstehen. Im vorliegenden Fall durften die Kläger deshalb nicht (doppelt) davon profitieren, dass trotz erheblicher positiver Einkünfte keine Einkommensteuerfestsetzung erfolgt ist. In vergleichbarer Weise hat der BFH entschieden, dass das FA einen erstmaligen Bescheid über die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs auch dann erlassen muss, wenn eine Einkommensteuerveranlagung wegen Ablaufs der Antragsfrist nicht mehr durchgeführt werden kann (BFH, Urteil v. 1.3.2006, XI R 33/04, BFH/NV 2006 S. 1204). In beiden Fällen war die Berechtigung zur Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs noch nicht verjährt, weil die gesonderte Feststellung Bedeutung für die Einkommensteuerfestsetzungen künftiger Veranlagungszeiträume hatte (vgl. § 181 Abs. 5 Satz 1 AO).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 02.08.2006, XI R 65/05